Vor uns taucht ein schwarzer, alles verschlingender Schlund auf: Der erste Tunnel. Bisher konnten wir die Monster der Unterwelt umfahren, aber diesmal führt kein Weg daran vorbei.
Mit Rücklicht, Warnweste und aufgebundener Stirnlampe, rolle ich vorsichtig hinein. Die Autos rauschen wie ein Donnergrollen an mir vorbei. Ihr Licht blendet mich, der Luftzug greift nach mir wie unsichtbare Tentakel. Ich versuche auf dem kaum einen Meter breiten Fußweg den Berg hinunter zu zirkeln, werde von Schlaglöchern aus der Bahn gerissen. Mit Gänsehaut am Körper bleibe ich am tiefsten Punkt stehen – Atme ängstlich die nassschwere Luft ein. Ab jetzt geht es nur noch bergauf, ermutige ich mich. In Schlangenlinien folge ich dem Weg, Scherben und Plastikteile liegen wie drapierte Fallen mit lechzenden Zähnen in meiner Spur. Ich erkenne Licht am Ende des Tunnels und mich empfängt die Wärme des Tages im Leben zurück.

Wir rollen auf den dahinter liegenden Parkplatz ein, wechseln die Schuhe und machen uns mit noch wackeligen Beinen auf zur Tageswanderung:
Auf den Gipfel des Offersoycampen
(5,6km mit 480 Höhenmetern)
Als wir im Vorfeld die Karten studierten, haben wir uns die Wanderungen als lohnenswerte Spaziergänge ausgemalt. In der Realität sind die Berge mit alpinem Gelände vergleichbar: Sehr steil, schroffe Felsen, Trittsicherheit und festes Schuhwerk unabdingbar!
Wir genießen die Sonne auf unserer Haut und die wunderschönen Weitblicke über den Fjord. Nass geschwitzt erreichen wir den Gipfel. Ein wunderschöner 360 Grad Blick raubt uns fast den Atem. Staub klebt auf unserer Haut und wir teilen uns brüderlich die mitgenommene Kanelsnur.



Als wir zurück bei unseren Fahrrädern sind, ist der Tag schon weit ins Land gezogen. Doch obwohl wir nur in Bewegung waren, schleicht sich das Gefühl in meinen Bauch, dass wir heute kaum voran gekommen sind. Wir wollen weiter…
Unsere Route verlässt den Eurovelo und die tiefstehende Sonne hüllt die Landschaft in goldenes Licht. Das warme Gefühl des Angekommenseins breitet sich aus. Der See glitzert, die letzten Traktoren bestellen die landwirtschaftlichen Nutzflächen. Ich jauchze innerlich auf. Wind ist aufgekommen und der Geruch von abgestandenen Mooren hängt in der Luft, als meine Reifen leise surrend über den Asphalt gleiten.

Als die Sonne die Erde berührt, stellen wir in den Dünen unser Zelt auf und schlafen mit Blick auf das Meer ein.
Selbstbedienungs-Supermärkte
Was uns die Reise erheblich erleichtert, sind die 24/7 Supermärkte auf unserer Route. In weniger dicht besiedelten Gebieten, werden die Supermärkte tagsüber oft normal betrieben, nach den regulären Öffnungszeiten lassen sie sich aber mit Kreditkarte öffnen. Wie ein Schausteller in „Nachts im Museum“schleiche ich mich dann alleine durch die Gänge, sammle Chips, Getränke und manchmal auch frisches Gebäck in meinen Einkaufskorb ein.
Und auch die Toilettensituation funktioniert hervorragend. So finden wir überall öffentlich Toiletten, die sich mit Kreditkarte und manchmal einem kleinen Obulus öffnen lassen, sauber sind und über Papier verfügen.
Henningsvaer
Freudig-aufgeregt führt unsere Route am nächsten Morgen auf die letzte Lofoten-Insel. Der Track macht einen Abstecher nach Henningsvaer, das malerisch-schön auf einer Inselspitze liegt. Obwohl der Weg dorthin von Reisebussen und Wohnmobilen flankiert ist, lassen wir uns die gute Laune nicht nehmen und erkunden das kleine und überlaufene Örtchen.



Erneut satteln wir die Rädern und treiben mit dem Strom bis nach Svolvaer. Das Rauschen der Autos mischt sich mit dem Ausblick auf kristallklares Wasser und dem aufkommenden Wind. Auf einem Wanderparkplatz schlagen wir unser Zelt auf und machen uns ohne Gepäck in den Abendstunden auf den Weg zur Teufelspforte.
Teufelspforte – Floya
(4 km mit 525 Höhenmetern)



Mit den ersten Sherpa-Treppenstufen lassen wir die Mücken hinter uns und klettern aus dem Wald empor. Goldgelbes Abendlicht nimmt mich in Empfang und ich bleibe immer wieder stehen, um den Moment in mir aufzunehmen.
Den gewundenen Treppenweg, die Aussicht auf die Stadt, die Schweißbahnen, die sich durch den Staub meiner Beine malen.
Glücklich, den Berg für uns zu haben, balancieren wir über Holzstege und steigen auf allen Vieren glatte Felswände empor. Als ich schließlich die circa 80cm breite Pforte erklimme, unter der nur ein gähnender Abgrund wartet und ich leicht verkrampft, aber freihändig in die Kamera blinzle, bin ich ziemlich stolz auf mich.

„Kunst ist dazu da, den Staub des Alltags von der Seele zu waschen“ (Pablo Picasso)
Mit staubverkrustetem Lachen und Beinen, auf denen man malen kann, schleichen wir uns am nächsten Morgen in Badesachen ins Nordmeer. Wild campen hat seine Vorteile. Salzwasser und Gänsehaut sind sicherlich keine davon. So frisch und lebendig starten wir in einen neuen Tag. Und werden dem Weg über die Vesteralen und Senja fortsetzen. …(Fortsetzung folgt)

