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Die Ultraetappe – 53 km mit 800 Höhenmetern

– Oder auch: Es wird nicht leichter werden –

Noch im Dunkeln räumen wir die Zelte aus und trotten in Richtung Startlinie. Mein Rucksack schmerzt schon jetzt auf den Schultern, als wir dem zweiten Race-Briefing folgen:

„Aufgrund der Regenfälle der letzten Tage musste die Strecke kurzfristig verändert werden. Ursprünglich sollten es 58 Kilometer sein, wie lange die Strecke jetzt geworden ist, werdet ihr dann sehen. Es wird auf jeden Fall nicht leichter werden …Cut Off – 19 Stunden“

Mit Worten, die mir im Ohr nachhallen und einem mulmigen Gefühl im Bauch zähle ich den Countdown runter. Und frage mich, ob ich mich nicht einfach hier in meinem Schlafsack wieder einrollen soll…

Ameisenkolonie – Marsch!

Wie eine Horde Kamele traben wir los. Das Tempo ist deutlich langsamer, als am Tag zuvor und meine Taktik ist klar: es wird gelaufen, was laufbar erscheint, die übrigen Teile werden gegangen. Wie eine Ameisenkolonie, die ein halbes Picknickbüffet abgeräumt hat, marschieren wir mit mindestens dem vierfachen Körpergewicht beladen die erste Düne hoch, verlieren uns in der Aussicht, der Schönheit des Augenblicks. Es geht weiter.

Nach den ersten 90 min passiere ich den ersten Checkpoint und begebe mich tiefer in die Wüste hinein. Mit jedem Meter wird es spürbar heißer. Ich ziehe meinen Nackenschutz über, teile mir mein Wasser in kleine Schlücke ein. Die Landschaft erscheint endlos, ist aber bisher gut laufbar. Ich komme zügig voran, versuche alles in mir aufzunehmen. Die Weite, die Leere, den schwarzen Fels, die leise Hitze.

Das Feld zieht sich immer weiter auseinander und ich bin froh, ab und zu die gelbe Kappe von ich-warte-oben auszumachen, die mir das Gefühl gibt, nicht alleine hier zu sein. Am zweiten Checkpoint ist es Zeit für Riegel Nummer zwei.

Da wir im Vorfeld ein Mindestmaß an Kalorien in Form von warmen Mahlzeiten einpacken mussten, habe ich die übrigen Gels, Riegel und Nüsse genau überdacht. In dem Wissen, dass ich auf der Strecke nicht mühsam und zeitaufwendig kochen möchte, muss ich mir also nun mein über-Tag-essen einteilen. Und hüte meine noch volle Nusstüte wie einen Schatz über meinem Herzen.

Einmal den Stecker ziehen, bitte.

Die Sonne brutzelt unerbitterlich weiter, als ich mich in einem stetigen Auf- und Ab durch den Sand kämpfe. Immer wieder trabe ich an, komme jedoch gefühlt kaum schneller voran, als die ebenso geh-laufenden Teilnehmer um mich herum. In einem ständigen Stop-and-go – überholen und überholt werden – versinkt langsam die Motivation in einem unerbitterlichen Treibsand. Und ich gleich hinterher.

Obwohl das Teufelchen auf meiner linken Schulter immer lauter schreit und schmerzhaft mit seinem Dreizack auf die Schulterstelle drückt, an der der Peilsender liegt, kämpfe ich mich weiter. Durch einen Steinbruch hindurch und zu Checkpoint Nummer 3 heran (circa. 30 Kilometer).

Nach Nacken-Eisdusche, fünf Stunden einsamer Rennzeit und brutzelnder Sonne liegen meine Nerven blank. Wie eine Fata-Morgana erblicke ich meinen ich-warte-oben. Wild mit den Armen wedelnd laufe ich auf ihn zu. Auf ihn, der mindestens genau so sehr hadert wie ich. Und wir beschließen gemeinsam weiter zu laufen.

Zu Zweit geht es manchmal doppelt so leicht.

Mit einem leichter gewordenen Herzchen geht es ohne lange Pause weiter. Seite an Seite erklimmen wir den nächsten Berg und folgen einem Steinweg.

„Dadurch, dass Einer läuft, kommt es dem anderen nicht sinnlos vor, mitzulaufen.“ – Worte, die in dem Moment unsere Welt bewegen.

Wir kommen nun deutlich schneller voran und sehen wilde Kamele in aufgeräumter Natur. Checkpoint 4 kommt früher als gedacht, die Laune flirrt in der Hitze.

Ab hier werden die Wege wieder deutlich belebter. Man konnte sich zu Beginn der Strecke noch umentscheiden, ob man 20 km, 40 km oder die volle Distanz laufen möchte, die an dieser Stelle wieder zusammengeführt werden.

Wir kämpfen uns durch ein Sanddünenmeer, erklimmen unter lautlosem Fluchen den höchsten Punkt der Strecke. Die Streckenposten sind hier zahlreich und fragen uns immer wieder, ob alles in Ordnung sei. Seite an Seite erleben wir den Moment, fächeln uns Luft zu, folgen endlosen Geraden und erreichen schließlich den letzten Checkpoint (46 km).

Wie weit ist es noch bis zum Ziel? – Noch 7 Kilometer.

Überrascht füllen wir ein letztes Mal unsere Flaschen auf und kämpfen uns den letzten Anstieg hinauf. Den, der kein Ende nehmen will und einer Alpenüberquerung gleich kommt. Zumindest fast. Die Beine sind tonnenschwer und das Ziel zum Greifen nah. Doch die letzten Kilometer verlangen uns nochmal alles ab. In der Ferne zeichnen sich zwei riesige Seen mit einem kleinen Camp in der Mitte ab. Weiter Ferne. Noch fünf endlose Kilometer…

Die Nachmittagssonne steht bereits tief am Himmel, als wir das Ziel nach 8.30 h vollkommen erschöpft erreichen. Kraftlos liegen wir uns in den Armen. Und sind uns sicher, noch nie etwas so anstrengendes erlebt zu haben.

Mit schweren Schultern schlurfen wir ins Camp. Und packen im Schneckentempo unsere Tasche aus. Alles kostet viel Zeit. Der Magen knurrt. Das Essen muss gekocht, das Wasser für den Tag abgeholt werden. Und dann sind da noch die Toilettengänge…

Willkommen auf der Wüstentoilette

Da mitten in der Wüste kaum Dixiklos aufgestellt werden können, gibt es beim Marathon des Sables traditionell Tütentoiletten. In kleinen Zeltkabinen stehen Holzhocker bereit, in die man eine biologisch abbaubare Tüte einlegen kann. Nachdem man sein Geschäft (ohne mit dem Hocker umzufallen) in die Tüte erledigt hat (die dabei ebenfalls nicht umgefallen sein sollte), knotet man den Beutel zu und entsorgt die Tüte in dafür vorgesehenen Eimern. Eigentlich einfach – außer, wenn es windig ist.

Mit müden Beinen empfangen wir Teilnehmer im erleuchteten Zielbereich. Und fallen kurz darauf wie Steinchen in unseren Zelten in einen tiefen Schlaf.

Gute Nacht, Zeltkreis 26

Der Pausetag

Nach einer erholsamen Nacht startet der Tag dennoch früh. Überall raschelt und flüstert es, Essen wird gekocht und Kaffee getrunken. Im Sani-Zelt können wir Blasen behandeln lassen und nach kurzer Zeit wimmelt es von OP-Schuhen und in unserem Zeltkreis von kreativen Schuhkünstlerinnen :-).

Kühle Berberzelte dienen uns als Aufenthalts-Ort zum Essen und Spielen. Bei einer gemeinsamen Yogaeinheit können wir nochmal alles ordentlich ausdehnen, bevor es als große Überraschung am Nachmittag eine eiskalte Cola für jeden Teilnehmer und Helfer gibt – und die Partystimmung eskaliert.

Nach knapp vier Tagen in der Wüste sind Fremde zu Freunden und Engelchen zu Feuerteufelchen geworden. Toilettenpapier wird geteilt und Tiefpunkte mit Umarmungen versorgt. Ein letztes Gute-Nacht-wünschen, ein letztes betten auf halbkaputten Luftmatratzen.

Gute Nacht, Kreis 26 – es ist schön bei dir.

Etappe 3 – 25,7 Kilometer mit 200 Höhenmetern

Mehr in der Nacht als am Tag heißt es nun ein letztes Mal Taschen packen und Zelte abbauen. Mit dem merkwürdigen Gefühl nicht hierher zurückzukehren, machen wir uns mit Stirnlampen auf den Weg zum Ziel.

Das Tempo an dem kühlen Morgen ist hoch, die Strecke dennoch nicht einfach. Wir folgen einem ausgetrockneten Flussbett, dass für Kasperle Künstler wie mich allerlei Stolpermöglichkeiten bereit hält. Am ersten Checkpoint vorbei, sehe ich in weiter Ferne die ersten rosa-orangen Schlieren in schwarzer Nacht. Ich laufe mit meinen Bleibeinchen weiter, erklimme einen Sandberg. Die Anstrengung der letzten Tage ist deutlich zu spüren und ich versuche mich nur auf den Himmel zu konzentrieren.

Aus Nacht wird Tag und aus Schwarz wird Bunt – Ein Moment für die Ewigkeit.

Vor mir pellt sich langsam ein riesiger roter Feuerball aus der düsteren Dünendecke hervor. Mein Herz macht einen Satz, als ich gefühlt in den Sonnenaufgang hineinlaufe. Ich bin so weit weg und gleichzeitig mittendrin. In einem Gefühl nur ein kleiner Teil in einem riesigen Ganzen zu sein, laufe ich weiter.

Die Meter werden mühsamer und die Beine schreien auf. Ich bin dankbar hier zu sein, genieße die Landschaft aus vollen Stücken. Und möchte doch gerne ankommen. Wir laufen ein letztes Mal an dem nun verändert wirkenden Camp vorbei. Sehen die Toilettenhäuschen und Berberzelte, Fußspuren und Absperrbänder. Die Sonne steht mittlerweile hoch am Himmel, während aus weiter Ferne die Moderatorenstimme zu mir hinüberweht. Winkend fliegt ich-warte-oben an mir vorbei, während ich aus dem letzten Loch pfeife.

Mit letzter Kraft fliege ich ins Ziel. Nehme stolz meine Medaille entgegen. Erst als ich kurz darauf im Bus zurück sitze, fließen die Tränen. Voller Stolz und Dankbarkeit lasse ich die Wüste hinter mir. Und weiß, dass ich die Erfahrung niemals vergessen werde.

Epilog.

Die letzten beiden Tage lassen wir im Hotel ausklingen. Nach anhaltender Verwirrung, in der frisch geduschte Menschen plötzlich fremd aussehen und man sich kaum wiedererkennen kann, wird zunächst gemeinsam Ben-Aid-Haddou, eine uralte Stadt und Filmkulisse, besichtigt und anschließend findet die offizielle Abschlussgala statt.

Stolz, auf meinen 8. Platz (Top Ten) aller Frauen der vollen Distanz und 51. von 370 Teilnehmern auf dieser Distanz, ist mein Abend voller Sonnenschein. In Sommerkleidern und Abendoutfits tanzen wir auf Teppichen durch die Nacht – und sind uns sicher, dass wir uns nicht zum letzten Mal begegnet sind.

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Marathon des Sables (Teil 2) – Das Wüstenabenteuer geht weiter

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