5
(7)

Unsicher trete ich von einem Fuß auf den anderen, blicke noch einmal über die Felsenkante und schüttel kaum merklich den Kopf. Unter mir tut sich das schwarze Nichts auf. Ich spüre innerlich, wie mein Fuß abrutschen und mein Rucksack mich in die Tiefen des Berges hinabziehen wird. Fühle, wie sich meine Finger langsam öffnen und ich schließlich von der Stille der Schneewelt verschluckt werde.

Ich blicke zu den anderen hinüber, die mittlerweile eine halbe Ewigkeit zu warten scheinen. Ich atme tief ein und mache einen Schritt nach vorne: Langsam drehe ich mich um, trete rücklings mit meinem rechten Fuß auf das blanke rutschige Metall. Wie ein Kind, dass sich an einer heißen Herdplatte verbrannt hat, schnellt mein Fuß jedoch augenblicklich wieder zurück und ich stehe an der Kante, die ich mich gerade erst zu überwinden getraut hatte.

Pustekuchen. So, komme ich hier definitiv nicht weg….

Und jetzt? Kurzerhand wird mein „ich warte oben auf dich“ zu meinem „ich warte unten auf dich“ erklärt, klettert Schritt für Schritt mit mir zusammen am Fels entlang. Sagt mir, wie ich Greifen muss und stehen kann. Mit jedem Tritt lässt das Zittern in den Beinen nach. Ich spüre die Ruhe zurückkehrend – werde sicherer. Und nach eins, zwei, drei Schritten liegt das klaffende Maul des Berges hinter mir.

Ich habe wieder festen Boden unter den Füßen – Und den Puddingbelag auf der anderen Seite des Abgrunds gelassen.

Nach einem langen Marsch durch Regen, Nebel und Schnee erreichen wir schließlich unser nächstes Etappenziel: die Freiburger Hütte. Trockenraum, Apfelstrudel und die längste zwei Minutendusche meines Lebens warten auf mich.

Tag 5 – Steinernes Meer – Spullersee – Ravensburger Hütte (600 hm Aufstieg und 700 hm Abstieg)

Auf Sonne folgt Regen – auf Schnee folgt Stein.

Da mich (total unbegründet und absolut aus dem Nichts heraus) am ersten Tag unser Wanderführer mit einem strengen Blick bedachte, als er meinte, dass wir täglich um 8 Uhr loswandern würden und wer zu spät sei, hinterher wandern müsse, fühlte ich mich tagtäglich in meiner Deutschen Ehre herausgefordert:

Unpünklichkeit? – nicht mit mir.

So ließ ich mich nicht lange bitten und stand jeden Morgen geschniegelt und gestriegelt um 7.59 Uhr am Startpunkt, nur um ungeduldig darauf zu beharren, dass wir nun aber auch wirklich bald los müssen.

Die fünfte Etappe könnte deshalb nicht schöner starten, als mit einer kleinen Verspätung des Wanderführers an diesem Morgen. Um 8.07 Uhr (also geschlagene 7! Minuten zu spät) macht sich schließlich unsere Gruppe bestehend aus 4 Wanderern und einem breit grinsenden Wandersmädchen auf in den neuen Tag.

Strandfeeling par excellence.

Schon nach wenigen Gehminuten stehen wir am Meer – Zumindest könnte hier mal eines vor einigen hunderttausend Jahren gewesen sein. Jetzt erwartet uns hier vielmehr eine riesige Steinlandschaft, die sich wellenförmig über die gesamte Ebene zieht. Hüpfen, klettern, laufen, springen. Wir tosen durch die steinernen Wellen, lassen uns die Sonne ins Gesicht scheinen und nehmen die Einzigartigkeit der Felsen mit jedem Schritt war.

Klotz Klotz Klotz am Bein, Klavier vorm Bauch, wie lang ist die Chaussee

Links ein Baum, rechts ein Baum, in der Mitt ein Zwischenraum

(Lied 1919-1933, Weimarer Republik)

Schritt für Schritt wandern wir über einen kleinen grasbedeckten Grad und machen es uns anschließend im Schatten des Berges gemütlich. Angelehnt an einen Felsen, lasse ich den Blick schweifen. Erkenne Ziegen, die im Hang grasen und kleine Bachläufe, die den Berg hinabspringen. Atme die frische klare Luft ein und bin ganz in mich gekehrt. An einem Stausee kurz vor der letzten Hütte machen wir eine weitere Rast und springen pudelrüh in das eiskalte Bergwasser. Mit einem Jauchzen und Kreischen schwimmen wir einige kurze Runden und vergessen auf den warmen Steinen die Zeit.

Die letzten paar Kilometer ziehen wir dann quietsch-fiedel und quietsch-sauber in Richtung Übernachtungshütte weiter, die uns mit ebensolchen quietschenden Boden begrüßt.

Wir übernachten meist in 4-6 Bettzimmern, bei denen Männlein und Weiblein sich für gewöhnlich die Zimmer teilen. Jedes Bett ist mit Zudecke und Kissen ausgestattet, das man über bzw. unter seinen eigenen Hüttenschlafsack legt. Da ich für gewöhnlich einen festen Steinchenschlaf habe, können mich weder schnarchende Mitwanderer noch Holzböden, die der bei der kleinsten Berührung ihr schönstes Klagelied von sich geben, aus meinen Träumen reißen. Und so sitze ich im Gegensatz zu einigen anderen müden Gesichtern gut gelaunt am Frühstückstisch.

Tag 6 – Stierlochsattel und Bustransfer nach Baad (500 hm Aufstieg und 1000hm Abstieg)

Während ich mein Müsli in mich hineinmanövriere, legt sich ein kleines bisschen Traurigkeit in meine Sonnenschein-Stimmung: Heute ist schon der letzte Tag unserer Hüttentour, die viel zu schnell vergangen ist. Ein letztes Mal satteln wir unsere Rucksäcke und steigen den Berg hinab. Unser Grüppchen ist nach wie vor bester Laune, witzelt über das Vater-Tochter-Gespann, macht die letzten Fotos und stärkt sich ein letztes Mal bei hausgemachtem Kuchen.

Mit einem Rucksack voller Schweißklamotten und einem Kopf voller Eindrücke gehen wir die letzten Meter bis zur Bushaltestelle. Im Regen. Und wissen, dass uns die kleinen neuen Schrammen in den Schuhen immer an die kleinen Steine im Herzen erinnern werden.

*enthält unbezahlte Werbung und persönliche Empfehlungen

Wie hilfreich war dieser Beitrag?

Klicke auf die Sterne um zu bewerten!

Die Lechquell-Durchquerung – eine Hüttentour im Kleinwalsertal (Teil 3)

Beitragsnavigation


2 Gedanken zu „Die Lechquell-Durchquerung – eine Hüttentour im Kleinwalsertal (Teil 3)

  1. Klasse 👍 Die Serie hat echt Spaß 👍. Wann geht’s weiter? Und immer schön vorsichtig…. Die Einleitung hatte es ja insich. Ich bin gespannt was als nächstes folgt.

    LG 👋

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert