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Tag 8 – oder vielleicht ist auch schon Tag 10, wie mir die Medien verkaufen wollen. Wer weiß das schon so genau. Die Uhren laufen hier anders – Oder gar nicht. Das tägliche Bimmeln der Kirchturmglocken wurde von Durchsagen der Polizei, Feuerwehr oder THW ersetzt, die mich immer wieder in blinder Panik zur nächsten Tür rennen lassen. Im schallenden Blechern versuche ich zu verstehen, ob sich eine erneute Katastrophe anbahnt oder es nur um die Zeiten für die tägliche Trinkwasserausgabe handelt…

Die Häuser werden mit jedem Tag leerer, Müllberge von Traktoren und LKW’s abtransportiert. Während einige noch knietief im Schlamm stehen, verwandelt sich die ehemalige Fußgängerzone in eine Geisterwelt. Die Fenster sind zugenagelt, Türen blockiert. Nachts umhüllt mich eine Finsternis, die ich sonst nur aus Horrorfilmen kenne – ohne Straßenlaternen oder leuchtende Wohnungsfenster höre ich nur das Knistern von zerberstendem Glas unter meinen Schuhsohlen.

Verpuffende Staubwolken des Nichts

Während ich durch die Straßen gehe, ziehen Militärfahrzeuge an mir vorbei und wirbeln Staubwolken auf, die vor wenigen Tagen die Stadt als Schlamm überzogen. Der Staub setzt sich in meiner Haut, auf meiner Zunge, unter den Nägeln fest. Nimmt mir jeden Geschmackssinn – alle Farben und Freude. Es riecht nach Trauer und Vergänglichkeit. Über mir kreist ein Polizeihubschrauber, der die Flüsse und Talsperren nach Autowracks und deren Insassen absucht. Ich höre von einem Fahrzeug, das in unserem Ort mit drei toten 19-Jährigen Männern geborgen wurde. An einem anderen Tag ploppt in einem WhatsApp-Status die Todesanzeige des vermissten Lebenspartners meiner Kollegin auf.

Während ich meine Hilfe anbiete, fühle ich mich selber mit jedem Tag nutzloser. Menschen, die besonders hart getroffen wurden, stehen unter Schock und möchten nicht mehr zum Unglücksort zurückkehren. Andere werden von Kamerateams belagert, die live aus dem Vorgarten senden möchten. In einem Haus ohne Türen und Wände hüpft nachts um 12 Uhr die circa acht jährige Tochter auf einer nassen Matratze in der ehemaligen Einfahrt herum, während sich der Vater nach einem Durchlauferhitzer durchfragt, damit seine Kleine nochmal warm duschen kann.

Helfende Hände müssen durch Maschinen und Handwerker ersetzt werden

Obwohl ich, wie so viele andere auch, gerne mit anpacken würde, gibt es doch immer weniger Dinge, die man anpacken kann. Ich-warte-oben hat seine gesamte Elektro-Firma in den Ort gezogen, um Strom abzuschalten und so gut es geht Notstrom zu legen. Immer wieder trifft er auf kokelnde Verteilerkästen, bei denen Hobbyhandwerker ohne Sinn und Verstand den Strom zugeschaltet haben, damit die Häuser wieder lebensfähig sind. Obwohl ich versuche ihm den Rücken freizuhalten, muss ich mehr oder weniger tatenlos mit ansehen, wie er immer tiefer in die Verzweiflung rutscht. Ich sortiere das provisorische Lager, da das Firmengebäude, das nach wie vor nicht begehbar ist, komplett überflutet wurde und sämtliche Maschinen defekt sind. Trockne Hausanschlüsse unter seiner Aufsicht, trage Material rein und raus. Versuche Überweisungsträger zu organisieren, damit die Firma auch in Zeiten ohne Internet und Onlinebanking geschäftsfähig bleibt.

Leid erlebt jeder anders

Und obwohl er und seine Jungs sich tagtäglich 16 Stunden abrackern, ist kaum Land in Sicht. Es fällt mir schwer, ihm um 22 Uhr, wenn er schlammüberströmt nach Hause kommt, mitzuteilen, dass wir den ganzen Tag noch kein Wasser im Haus hatten und weder die Dusche, noch die Toilettenspülung funktioniert. Muss erleben, wie vor allem ältere Menschen ihn am Telefon pampig belagern, weil der Elektriker sie zwar mit Strom versorgt hat, aber im Gewölbekeller, in den sie aber ja eh nicht hinuntergehen, nun noch immer kein Licht geht.

Leid erlebt jeder anders, und doch ist es manchmal die Verzweiflung die am schwersten wiegt.

Die ersten Gutachter ziehen durch den Ort, bewerten die Häuser nach ihrer Standfestigkeit. Die Versicherung gibt uns grünes Licht, um unser Mietshaus, das lange unser eigenes Zuhause war und nun von 4 m hohen Wassermassen zerlegt wurde, zu sanieren. Böden und Putz müssen abgestemmt werden, ehe Wände erneuert, Strom oder Heizung neu gelegt werden können. Geld wird überwiesen, doch Handwerker seien keine verfügbar.

In vielen Häusern findet man das selbe Bild vor. Nachdem die ersten tatkräftigen Helfer mit angepackt haben, stehen nun alleinerziehende Mütter in ihrer ehemaligen Küche und stemmen Fliesenböden heraus. Und obwohl ich mich bereits darauf eingestellt haben, den Estrich alleine herauszustemmen, damit ich-warte-oben weiterhin Menschen mit Strom versorgen kann, stellt sich heraus, dass selbst das nicht so leicht möglich sein wird:

Stromkabel sind beschädigt und Gasleitungen defekt. Der Ort wird immer wieder durch das Militär abgeriegelt, da Gastanks Brücken blockieren oder Bäume umzustürzen drohen. Zeitweise muss man sich Ausweisen, um in die eigene Heimat zu gelangen. Es braucht oft Stunden, um sich zwei Kilometer mit einem Fahrzeug durch den Ort zu bewegen.

Häuser sind zerstört – Menschen stehen unter Schock. Die Politik diskutiert über die Schuldfrage und sichert Gelder zu.

Und während alle Welt Spenden sammelt, sammle ich immer mehr Verzweiflung an.

Versuche zu verstehen, wie ein Wiederaufbau mit Geld, aber ohne Handwerker und Baumaterialen, die bereits seit Monaten nicht verfügbar sind, funktionieren soll. Und obwohl ich weiß, dass das Leben irgendwie weiter geht, ist es manchmal auch als Sonnenschein schwer, ein lächeln zwischen nassen Schuhen und verriegelten Häuserzeilen zu finden.

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Flutkatastrophe in meiner Heimat (Teil 2) – Über den Alltag zwischen Baumaschinen und Megafondurchsagen

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9 Gedanken zu „Flutkatastrophe in meiner Heimat (Teil 2) – Über den Alltag zwischen Baumaschinen und Megafondurchsagen

  1. Unglaublich bitter zu lesen. In Aachen sind wir irgendwie davon gekommen. Ich hoffe, ihr schafft es alle euch irgendwann von diesem Schock zu erholen.
    Alles Gute liebe Sara 💪

    1. Danke fürs Lesen und für die lieben Wünsche 🤗 jedes Schicksal ist schlimm, egal wie klein es einem auch vorkommen mag. Aber das Leben geht weiter und nach Schatten kommt auch wieder Licht. Wir schaffen das.
      Ganz liebe Grüße

  2. Wie unglaublich belastend und schlimm alles ist, die Bilder im Fernsehen schockieren schon und machen betroffen, aber deine beiden Texte spiegeln die Lage so viel intensiver wieder das man beim lesen schwer schlucken muss. Ich wünsche euch ganz viel Kraft für die kommende Zeit und das es zügig wenigstens ein ganz kleines bisschen „normaler“ wird.

    1. Danke für die lieben Worte 🤗. Man fühlt sich ein bisschen wie in einer anderen Welt. Alles was vertraut war, kommt einem jetzt ganz fremd und verzerrt vor. Die Bilder in den Nachrichten spiegeln es ganz gut wieder, aber doch betrifft es einen nicht richtig.

  3. Hallo, ich habe den Bericht gelesen. Es macht einen echt betroffen. Bin selber nur in Schleiden helfen gewesen, aber Gemünd sieht furchtbar aus. Ich komme aus Strauch, da ist nichts passiert. Falls gewünscht, kann ich euch auch bei Handwerkerarbeiten, wie Elektro unterstützen, meine Mail schicke ich mit. Ich wünsche euch ganz viel Kraft.

    1. Hallo Jörg, das ist wirklich wahnsinnig lieb von dir. Mich macht es manchmal sprachlos, wie sehr ihr uns von außerhalb unterstützt, obwohl ihr eigentlich ganz normal eurer Wege gehen könntet. Das ist so unfassbar schön, so viel Anteilnahme und Unterstützung zu bekommen. Vielen herzlichen Dank!

      Liebe Grüße, Sara

  4. Hey Sara,
    ich habe bewusst ein wenig Zeit verstreichen lassen, um wenigstens ein Mini Stück Alltag wieder einkehren zu lassen bei dir bzw für eure Familien, Freunde, Bekannte, Kollegen usw.
    Es war einfach schrecklich sehen zu müssen, was mir euerer wunderschönen Heimat, euren „zuhause“ passiert ist, wie verzweifelt die Situation und die Menschen schrecklich vor den Scherben ihrer Existenz gestanden haben und noch immer stehen.
    Ich fühle mich in den Momenten total hilflos, kann nicht wirklich etwas dazu beitragen, das Leid zu lindern. Nichtsdestotrotz waren meine Gedanken oftmals bei den betroffenen Menschen deiner Heimat.
    Ich wünsche euch allen ganz viel Kraft und Durchhaltevermögen, damit wenigstens die Schäden finanziell und unbürokratisch schnellstmöglich behoben werden.
    Deine Schilderungen sind so „bedrohlich“ real wie immer, nur eben diesmal leider eben mit traurigem Hintergrund.
    Toi toi toi 🍀!!!

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