Regenrinnsale fließen die Straße hinab, Wolken verhängen Berggipfel. Nur mühsam kämpfe ich mich aus dem warmen Hotelzimmer und befestige die noch trockenen Taschen an meinem noch sauberen Rad. Den Tourenstart hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt. Etwas wehmütig trete ich von einem Fuß auf den anderen, vertrödel unnötige Zeit, bis ich mich aufraffen kann, loszufahren. Endlich. Der Berg ruft – Und ich rufe zurück.
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Willkommen in Vorarlberg
Tag Eins – Von Landeck nach Bludenz
Nach den ersten Kilometern ist der Regen vergessen. Ich radle am Bahnhof in Landeck vorbei, dem Letzten auf der Route in Richtung Vorarlberg. In sanften Serpentinen schwinge ich mich den Berg hinauf. Nebelwölkchen tanzen empor und mit jedem Meter wird mir wärmer und mein Lächeln breiter. Kuhweiden säumen meinen Weg und das sanfte Bimmeln der Glocken mischt sich unter das Tosen des Flusses.
Die Gravel-Austria Route
Ich bin unterwegs auf der Gravel-Austria-Route: Die Gesamtstrecke führt auf 3000 Kilometern mit 50000 Höhenmetern einmal komplett an der österreichischen Grenze entlang und zeigt die ganze wunderschöne Bandbreite des Landes: Berg- und Flusslandschaften, malerische Seen und Felder. Kombiniert mit knackigen Anstiegen und einem Hauch Apfelstrudel.
Link zur Route: https://www.austria.info/gravel
Ich werde allerdings nicht die komplette Route fahren, sondern habe mich für die komplett gegensätzlichen Teile durch Vorarlberg und Burgenland entschieden.
Landesgrenzen-Überquerung
Mit jeder Stunde, die vergeht, wird das Wetter besser und die Stimmung ausgelassener. Ich kann noch immer nicht fassen, mit Rad und Gepäck durch die Berge fahren zu dürfen. Mit ich-warte-oben an meiner Seite kämpfe ich mich den letzten Anstieg hoch. Ein Strahlen zieht sich über mein Gesicht. Ich atme tief ein. Vor mir tut sich ein unglaubliches Bergpanorama auf und ich verliere mich im kristallklaren Blau des Kops-Stausees – Wunderschön.
Abfahrtszeit
Noch immer überwältigt von der Besonderheit des Augenblicks mache ich mich bereit für die Abfahrt. In engen Serpentinen jauchze ich mich mit quietschenden Bremsen durch Kurven hinab, während das Tal stetig näher kommt. Berghänge tun sich vor mir auf, während ich hochkonzentriert um eine Kurve nach der anderen eiere. Mit der Kraft von Wichtelwasser am Wegesrand mache ich mich auf den Weg zum Ziel. Und bin mir schon jetzt sicher, dass der Preis für die vorsichtigste Fahrerin heute definitiv an mich gehen wird.
Die Vorarlbergroute verläuft im Halbkreis durch das zweitkleinste Bundesland Österreichs. Die Strecke führt vom Kops-Stausee bis nach Warth auf 262 km mit 6260 Höhenmetern.
Tag Zwei – Von Bludenz bis in die Hauptstadt Bregenz
Am nächsten Morgen erwartet uns Sonnenschein. Wir folgen dem Flusslauf und verlassen schon bald die Stadt. Sanfter Sommerwind weht mir entgegen und Sonnenperlen glitzern auf dem Wasser. Ich bin glücklich. Entspannt rollen wir an Feldern vorbei, bis mich ein verdächtiges Radcomputergeräusch aus meinen Träumen reißt.
Der erste Anstieg. Oder auch: Ganz oder gar nicht.
Der Radcomputer leuchtet in den tiefsten Rottönen auf, während ich mit letzter Kraft versuche auf meinem Rad zu bleiben. Wie ein Rodeoreiter auf einem bockenden Pferd kämpfe ich um jede Pedalumdrehung und überlege, mein Gepäck einfach liegen zu lassen. Schweißperlen bahnen sich ihren Weg und ich versuche mich im tiefen Grün der Bäume zu verlieren.
Aussicht voraus!
Etwa auf halber Strecke des Anstiegs bleibt mir dann doch die Luft weg. Ich sehe zum ersten Mal den Bodensee! Zwar noch in weiter Ferne, dafür aber in einem wunderschönen Panorama eingebettet. Mit Blick auf den alten Rhein sitzen wir schon bald auf der Alpe Gsohl – Pausenaugenblick.
Bergpanorama aufsaugen, Flaschen auffüllen.
Über Schotterwege geht es weiter den Berg hinauf. Dass ich mich jemals zwischen Almhütten und Gipfelkreuzen mit dem Rad bewegen werde, hätte ich mir nie träumen lassen. Wahnsinn! Fast so steil wie hoch, geht es irgendwann auch wieder runter. Mit Warp Geschwindigkeit rasen Berglandschaften an mir vorbei und ich hinterher. Zeit die Bremsen zu kühlen und Eis zu essen.
Der Abend endet bei Sonnenuntergang im Bodensee. Einen schöneren zweiten Tag hätte ich mir nicht erträumen können.
Tag Drei – Von Bregenz nach Mellau
Obwohl der dritte Tag aus ungeklärten Gründen oft der schwierigste Tag ist, mache ich mich beschwingt auf die Reise: Der heutige Tag führt uns tiefer ins Ländle hinein. Oder um es mit anderen Worten zu sagen: Rollende Kiessteine unter surrendem Profil, plätschende Wasserfälle auf ruhigem Stein. Lange Zeit folgen wir dem Bregenzerach mit der Sonne im Gepäck, bis wir ihn für knackige Anstiege und sanfte Kuhweiden hinter uns lassen. Hinter jeder Biegung erscheint eine neue Bergkette und leuchtende Augen kennen keine Grenzen mehr.
Obwohl sich am Himmel die ersten düsteren Gewitter-Wolken abzeichnen, fordert uns die Sonne heute mehr heraus. Gierig nutzen wir Trinkwasserbrunnen und sind dankbar für die Streckenführung, die uns immer wieder an Supermärkten und Gaststätten vorbeiführt. Schneller als gedacht erreicht wir Mellau. Und genießen bei Blasmusik und Trikot-Handwäsche die lauen Abendstunden am Balkon.
Tag Vier – Von Mellau nach Warth
Wiener Schnitzel und -frühstücksgestärkt befreien wir die Rädchen aus der hoteleigenen Tiefgarage und starten in die letzte Vorarlbergetappe – die Berg-Etappe (schaurige Musik).
Wir folgen der Strecke in ein nahes Waldstück. Mit Schotter unter den Reifen und dem Flusslauf neben uns, vergehen die ersten Kilometer wie im Flug. Immer wieder durch steile Anstiege durchbrochen, erreichen wir schließlich ein kleines Plateau mit einem Selbstbedienungsbüdchen. Pausenglück.
Wir schlängeln uns weiter den Berg hinauf und kreuzen Skiliftstationen, entern Almverkäufe und überraschen Wanderer, die hier wohl kaum mit Gravelradfahrern gerechnet haben. Diebisch vergnügt lasse ich den Blick über wiesenreiche Hänge und schroffe Berggipfel schweifen. Nach 15 km stehen bereits über 1000 Höhenmeter auf meinem Computer. Eine Zahl, die ich sonst nur beim Bergsteigen erreiche. Glücklich und ein wenig stolz schwinge ich mich weiter die Berge hoch, fahre über Holzplanken und quere Flussdurchführungen.
Mit jedem weiteren Anstieg der vor mir liegt, werden die Beine schwerer und der Kopf müder. Das Rad springt über Wackersteine und rutscht auf losem Kies weg. Aber heißt es nicht auch: „Wer sein Rad liebt, der schiebt“?
Der letzte Anstieg
Mit einem wehmütigen Gefühl, dass sich die Zeit in Vorarlberg so rasant seinem Ende nähert, piepst der Radcomputer ein letztes Mal laut auf. Der Weg folgt einer kurzen Asphaltstraße durch Tunnel und schließlich einer Art Rodelweg hinauf bis auf 1800 m Höhe. Mit letzter Kraft lasse ich die Pedale kreisen und sauge alles um mich herum auf: Den sanften Wind auf meinen Armen, das entfernte Glockengebimmel der Weiden. Den Geruch von Wiesen und den Ausblick auf Bachquellen im Tal. Die Wege werden schmaler und unwegsamer, dann flacher und breiter.
Mit einem letzten Blick zurück, lasse ich den Anstieg hinter mir. Rase grinsend den Berg hinab und stehe schließlich vor dem Ortsschild von Warth – Streckenende.
Voller Euphorie, nass geschwitzt und glücklich bis in jede Haarspitze müssen wir Vorarlberg verlassen. Mit tausenden Bildern im Kopf und im Herzen.
Und machen uns schließlich auf zum Bahnhof nach St. Anton, der uns zum zweiten Teil der Reise führen wird. …
Tief in den Osten des Landes hinein – Auf nach Burgenland.