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Müde ziehe ich meine Laufschuhe an, werfe kraftlos die Tür ins Schloss und laufe los. Schritt für Schritt geht es über den harten Asphalt vor meiner Haustür in Richtung Park. Eigentlich war es auf dem Sofa so bequem. Aber auf meinem Kopfplan stand etwas von Tempolauf, Intervallen oder Fahrtspiel geschrieben. Und während die Begriffe noch vor meinem inneren Auge kreisen, laufe ich schon den steilen Weg bergab, der mich zu meinem heutigen Ziel bringen wird.

Als ich damals das erste Mal wieder „eine Runde laufen ging“, fühlte ich mich wie nach meinem ersten Schluck Kaffee (wahlweise nach meinem ersten Schluck Bier): Zuerst habe ich angewidert das Gesicht verzogen, mir dann gedacht, dass ich das Ding jetzt irgendwie zu Ende bringen muss ohne auf den Boden zu rotzen, nur um mir hoch und heilig zu versprechen, so etwas Ekelhaftes nie wieder zu probieren.

Nun laufe ich vor mich hin, warte darauf, dass meine Uhr das Ende der heutigen Einheit ankündigen wird und ich mich ruhigen Gewissens wieder meiner Kaffeetasse zuwenden kann.

Die erste Steigerung lässt grüßen.

Wehmütig zähle ich die letzten Sekunden herunter, bis ich die Geschwindigkeit langsam erhöhen muss. Noch 3 – 2 – 1 – Knallgas. Meine Schritte beschleunigen parallel zu meinem immer schneller werdenden Herzschlag. Während die ersten Sekunden ähnlich wie ich zu Fliegen scheinen, werden die Beine schnell schwerer und der Atem lauter.

Die Zeit zieht sich wie ein fad schmeckender Kinderkaugummi, von dem man sich zu viele in den Mund gesteckt hat, weil der süßlich-künstlichen Erdbeergeschmack so schnell verging.

Nun zieht sich der Faden immer länger und scheint schier endlos zu sein. Die letzten Sekunden meines Intervalls brechen an – der Faden reißt ab. Die erste Steigerung ist geschafft – sieben liegen noch vor mir. Während ich versuche meinen wild klopfenden Herzschlag zu besänftigen und meinem Kopf erkläre, dass der Kaugummi schon ein Stück kleiner geworden ist, frage ich mich:

Wozu eigentlich das Ganze?

Wäre es nicht viel schöner, einfach nur so zu laufen und sich des Lebens zu erfreuen? Warum quäle ich mich hier, statt nach dem Motto zu leben: „Lieber faulenzen, als gar nichts tun?“

Aus humanwissenschaftlicher Sicht, ist der Mensch ein zielorientiert handelndes Wesen (vgl. Brunstein/Maier 2002), welches nach Selbsterhöhung strebt. Der Mensch wählt sich also persönliche Ziele aus, die aus einer eigenen (intrinsischen) Motivation heraus oder durch äußere Einflüsse (extrinsisch motiviert) entstehen. Oder anders ausgedrückt:

Wer aufhört, besser zu werden, hat aufgehört, gut zu sein

Philip Rosenthal

Fortbewegung – Entwicklung. Der Mensch will nicht auf der Stelle stehen. Will das Gefühl haben, weiterzugehen und eine positive Veränderung durchzumachen.

Also kämpfen, zerren und motivieren wir uns, um eine Strecke in einer kürzeren Zeitspanne zu laufen oder um schier unschaffbare Distanzen zu bewältigen. Um abzunehmen oder „gut auszusehen“. Um glücklich zu sein oder abschalten zu können. Um konkurrenzfähig zu sein oder Platzierungen einzufahren.

Um ein besserer kleiner Mensch in einer großen Welt zu werden.

Letztendlich können die Ziele so vielfältig sein wie Sahnekuchenstücke in einer gut aufgestellten Konditorei: Erdbeertorte, Frankfurter Kranz, Bananenkuchen. Die Auswahl ist vielfältig, der Hunger groß. Und doch muss man sich entscheiden und kann nicht alle Stücke gleichzeitig essen. Muss immer erst eins nach dem anderen abarbeiten. Und dabei ist keines besser oder schlechter, sondern eine Geschmacksfrage, manchmal tagesformabhängig, aber immer eine ordentliche Portion, die es zu bewältigen gibt. Und egal, welches Ziel man sich herauspickt – meist hat man ordentlich daran zu knabbern.

Während es manch‘ einer also darauf anlegt, die Kirschen auf der Torte zu essen, möchte ein anderer vielleicht einfach sein Stück vom Glück genießen und mit sich Hier und Jetzt im Reinen sein. Jedes Ziel hat seine Berechtigung, egal wie absurd es klingen mag.

Und während meine Uhr mich mittlerweile zu meinem letzten Intervall herausfordert und ich das Gefühl im Kopf habe, dass mein Sahnetortenstück vielleicht doch zu groß für mich war, kämpfe ich mich weiter voran.

Mein Ziel ist es herauszufinden, zu was ich fähig bin. Ich möchte weiter gehen, schneller werden, an meine persönlichen Grenzen stoßen.

So beschleunige ich das letzte Mal meine Schritte und peitsche mich vorwärts. Einer unsichtbaren Schwelle entgegen, die mich nicht am weiterkommen hindern wird.

Und komme mit dem guten Gefühl zu Hause an, etwas für mein persönliches Sahnetortenstück geleistet zu haben.

Brunstein, J. C., & Maier, G. W. (2002). Das Streben nach persönlichen Zielen: Emotionales Wohlbefinden und proaktive Entwicklung über die Lebensspanne. In G. H. J. Thomae & G. Jüttemann (Hrsg.), Persönlichkeit und Entwicklung (S. 157–190). Weinheim: Beltz

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Höher, schneller, weiter – Über die Kirschen auf der Sahnetorte

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