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Einsam taste ich mich über die rutschigen Felsen, während unter mir tosende Wellen zerbersten. Ich blicke mich um. Erkenne kaum die Stelle, an der ich vom Weg abgekommen bin. Die Uhr tickt weiter. Schaum kräuselt sich in kleinen Mulden, in denen meine sandigen Schuhe Halt suchen. Erschöpft und nach gefühlten Ewigkeiten finde ich mich an einer Abzweigung wieder, die mich in das Fiasko hinein gebracht hat. Doch welchen Weg ich nun wählen soll, steht noch in den Sternen…

Zurück auf Anfang.

Etappe 4 – Saint Francois

11 km mit 200 Höhenmetern

Im Camp: Bereits vor Sonnenaufgang herrscht reges Treiben. Die Fähre liegt zur Abfahrt bereit, während wir noch zähneputzend Wasserkanister und Gemeinschafts-Pavillons schleppen. Mit einem viehtreiberischen „Allez, allez“ des Veranstalters im Ohr, betrete ich mit mulmigen Gefühl das Boot, das mir bei der letzten Überfahrt den Boden unter den Füßen wegriss. Und stelle erleichtert fest, dass der Rückweg weniger schaukelig ist.

Saint Francois gehört zum süd-östlichen Teil der Hauptinsel von Guadeloupe, sozusagen zum linken Schmetterlingsflügel der Insel. Oder in fachmännisch ausgedrückt: Zur Verwaltungseinheit Pointe-à-Pitre.

Bildquelle: Saint-François (Guadeloupe) – Wikipedia

Als wir Saint Francois erreichen, warten neben dem Frühstück auch die ersten Tagesgäste auf uns, die sich bereits hochmotiviert einlaufen. Zwischen Kakao und Baguette lausche ich dem Briefing des heutigen Tages: Die Strecke ist nicht markiert, wir müssen bis zur Saline hochklettern und schließlich wieder zurück laufen.

Halb kauend, halb verdauend schnüre ich mir die Schuhe zu.

Und Start. Noch ehe ich mich versehe, galoppiere ich zwischen den anderen Teilnehmern auf der Strecke. Nach wenigen hundert Metern führt uns der Weg auf einen schmalen Waldpfad. Wir klettern zwischen Bäumen hindurch, um kurz darauf mit wedelnden Armen in die Tiefe zu stürzen. Das Feld zieht sich schnell auseinander. Der Untergrund wird sandiger und ähnelt schließlich dem feinporigen Strandbelag, den ich mir sonst zwischen den Fingern zerrinnen lasse.

Bei jedem Schritt habe ich das Gefühl ins Leere zu treten, obwohl sich meine Schuhe stetig mit Sand füllen.

Mein Laufen ähnelt mehr einem Stacksen, während die Sonne auf mich niederbrennt. Die Belastung der letzten Tage ist im Kopf greifbar und doch unvermeidlich. Dicht umgeben von Palmpflanzen, an Sackgassen und Kreisverkehren vorbei, finde ich mich schließlich auf den letzten Metern zur Saline wieder – An der heutigen Wendestelle.

Mittlerweile bin ich alleine unterwegs. Und: Es geht erneut in den tiefen Sand.

Nichts ähnelt dem Hinweg und doch sieht alles gleich aus. Ich folge dem Sand auf einen Felsenweg und merke erst nach einigen hundert Metern, dass ich falsch bin. Die ersten Verzweiflungstränchen bahnen sich ihren Weg, während ich unsicher zurück klettere.

Zweiter Versuch: Eine markante Felsformation springt mir ins Auge. Ein Zeichen des Wiedererkennens lässt mein Herz aufleuchten. Erleichterung macht sich breit, während ich erneut durch den Sand laufe.

Ein Männlein steht im Walde…

Schließlich finde ich auch die ersten Markierungen, die uns zurück ins Ziel leiten sollen. Der gelbe Punkt weist mich zum Strand. Doch obwohl ich in die vorgegebene Richtung laufe, ist keine weitere Markierung auffindbar. Ich entschließe mich dem nächstgrößeren Weg zurück in den Wald zu folgen und da passiert es erneut: Ich habe mich verirrt. Von weitem höre ich Stimmen, doch es ist kein Durchkommen möglich. Ich stehe vor einem hohen Grundstückszaun, allein im Nirgendwo. Halb weinend, halb fluchend irre ich weiter. Und komme nach zwei zusätzlichen Kilometern am selben Punkt aus, der mich eben noch zum Strand führte. Ich stutze. Und treffe auf zwei Mitläufer, die jeweils aus zwei unterschiedlichen Richtung auf mich zugerannt kommen und ebenfalls nach dem Ziel suchen.

Gemeinsam folgen wir den Punkten zum Strand und laufen parallel zum Meer entlang. Schließlich finden wir an einer zugewucherten Stelle eine vergilbte Markierung, die uns zuvor entgangen war. Von einer Trommelband empfangen, fallen wir uns endlich in die Arme. Greifbare Erleichterung.

Les Saintes

Mit jedem Tag den ich hier bin, verstehe ich mehr französisch. Halb gestikulierend, halb sprechend lachen wir über Vorurteile und Witze. Humor kennt keine Sprache und ist doch überall gleich. Die Geflogenheiten der anderen sind uns mittlerweile vertraut: Der Italiener, der auf Guadeloupe lieber keinen Kaffee trinkt und les Allemands, die entgegen ihrem Ruf nicht immer die Pünktlichsten sind. Ein lustiger bunter Haufen, der tagtäglich Hühnchen gegen Reis und Riegel gegen Gummibärchen eintauscht.

Nach der zweiten Überfahrt an diesem Tag, finden wir uns am späten Nachmittag auf einem wunderschönen belebten Marktplatz wieder. Es duftet nach Meer und Eis und Urlaubsflair. Die Sonne glitzert auf dem türkisblauen Wasser und kleine Segelboote schaukeln im Wind. Wir essen tropische Früchte und strahlen mit der Sonne um die Wette.

Les Saintes besteht aus zwei kleineren Inseln: Terre de Haut und Terre de Bas. Beide bestehen aus Felsmassiven, die an den unteren Randstreifen bewohnt werden.

Amputation am offenen Läufer-Herzen

Nach Zeltaufbau und Sonnenuntergang geht jeder bis zum Essen seiner Wege. In der Ruhe des Abends schaue ich nach der Blase unter meinem Fuß. Feiner Sand hat sich unter dem Blasenpflaster verfangen, was zum einen dazu führt, dass ich kaum mehr auftreten kann. Zum anderen hat der Sand den Weg für Fliegetiere und Ameisen geebnet, die nun fröhlich ins Pflaster hinein krabbeln. Mit schmerzverzehrtem Gesicht schaue ich dabei zu, wie die Ärztin das Pflaster und überschüssige Haut entfernt, ein babyhand-großes rohes Stück Fleisch desinfiziert. Indianer kennen vielleicht keinen Schmerz, kleine Läuferinnen womöglich schon.

Ein neuer Tag beginnt.

Müde, gerädert, aber hoffnungsvoll, dass der schlimmste Tag nun hinter mir liegt, erwache ich im Sonnenaufgang des nächsten Morgens. Und freue mich auf die kürzeste, aber vom Gelände schwierigste Etappe. Und leise frage ich mich, was das mit dem Fuß wohl geben wird…

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Guadarun 2023 – Ein Etappenlauf in der Karibik (Teil 3)

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