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Eine Zeitreise ins Jahr 2011

Mit letzter Kraft paddel ich gegen den immer stärker werdenden Wellengang an, während mir der Nieselregen ins Gesicht peitscht. In unserem Kanu sammeln sich die Wassermassen wie Tauben in einer Stadt und ich hoffe inständig, dass die Seesäcke so seetauglich sind, wie ihr Name es vermuten lässt. Mit jedem Schlag nähert sich die kleine Aluschale dem rettenden Land, nur um von der nächsten Wellenbewegung wieder ein Stück fort getrieben zu werden. Langsam aber sicher sickert die pure Verzweiflung durch. Und irgendwo tief in mir wird ein kleiner Funken Abenteuerfreude geweckt…

Wir schreiben das Jahr 2011 – Fukushima, die königliche Hochzeit in Großbritannien und der Tod von Amy Winehouse bewegen die Welt. Und mich vor allem die großen Veränderungen, die das Jahr bereithalten wird. So ist es in diesem Sommer auch nicht verwunderlich, dass es statt Pauschalreise und Abendbuffet, zwei Wochen alleine mit ich-warte-oben, der in diesem Urlaub die Rolle von ich-lenke-hinten einnimmt, in die Einsamkeit der schwedischen Tristesse geht. Ohne Handy, ohne Internet und ohne je in einem Kanu gesessen zu haben.

„Nach 20 Stunden nonstop Fahrt, erreichen wir nach einigen Kommunikationsproblemen mit Herr TomTom eine Wiese in Risviken – kurz: das Camp. Der Regen hat mittlerweile so zugenommen, dass das Camp kaum mehr vom See zu unterscheiden ist und wir entschließen uns, erst einmal schlafen zu gehen. Vom Sonnenschein um 17 Uhr geweckt, machen wir unsere erste Kanu-Probefahrt, nach der feststeht, dass ich das Lenken lieber jemand anderem überlassen möchte“ (Auszug Schwedentagebuch 2011)

Schweden wird mit seinen circa 90000 Binnengewässern auch als „das Land der tausend Seen“ bezeichnet. Und da eine Landschaft immer nach dem ruft, der sie zu nutzen weiß, ist es nicht verwunderlich, dass in Schweden das Kanuwandern ungefähr so populär ist, wie das Bergsteigen in den Alpen. Mit dem einzigen Unterschied, dass man sich nicht auf zwei Füßen, sondern mit zwei Paddeln fortbewegt.

Mit Tee und Tütenessen

In der Region Värmlands findet man an jeder Ecke so genannte „Camps“, die Kanus mit entsprechenden wasserdichten Tonnen verleihen, Touren planen und z.T. sogar Komplettpakete inklusive Zelt und fertig zusammengestellten Verpflegungspaketen anbieten. Doch da das Geld knapp und die Vorfreude dafür umso größer ist, kramen wir voller Abenteuerlust das Iglu Zelt inkl. Gaskocher hervor, kaufen kiloweise Fertigtütengerichte im heimischen Supermarkt ein, mieten Kanu und Paddel und finden uns kurz darauf auf einer Sumpfwiese in Schweden wieder. Mit wasserfesten Seesäcken und dem Schalk im Nacken.

Tourenplanung von Felsnase zu Felsnase

In dem kleinen Camp-Kiosk kaufen wir eine Kanuwanderkarte, die so detailliert gezeichnet wurde, dass jede noch so kleine Felsnase und Inselvorsprung gut erkennbar sind. Zu Zeiten ohne GoogleMaps oder GPS-Geräte ist die Karte unsere einzige Orientierung im wilden Nordwesten. Da im gesamten Land „Jedermannsrecht“ herrscht, was so viel bedeutet, dass jeder das Recht hat die Natur für sich zu nutzen, campieren oder Feuer machen darf, erleichtert das die Tourenplanung enorm.

Trotzdem gibt es in der Region Värmland eine Vielzahl von Lagerplätzen, die über einen Windschutz, Feuerstellen und umweltverträgliche Toiletten verfügen, was den Aufenthalt in jedem Bereich erleichtert – Klappspatentoilette adé.

So planen wir gemeinsam mit dem Besitzer des Camps mit Kugelschreiber und wilden Kreuzchen-Markierungen eine Rundreise, auf der wir jeden Tag circa 20 km zurücklegen werden. Und bei der wir nicht nur einige Male das Kanu in einen anderen See umtragen müssen, sondern auch einige Höhenmeter durch Schleusen passieren werden.

„Die wasserdichte Tonne, das Auto [Reifenuntersatz], zwei Seesäcke und Zelt sind schnell verstaut, und auch für eine letzte Dusche ist noch Zeit. Um 10.30 Uhr stechen wir mit unserer Dole in See. Durch meterhohe Brecher finden wir den Weg zur ersten Umtragestelle, die sich jedoch als Bergwertung der Tour de Schweden herausstellt und nur durch ausreichend Traub-Stoff gemeistert werden kann. Nach der Erkundung unbekannten Terrains mittels Feldstecher, lassen wir das Boot in den nächsten See ein. Und stellen fest, dass es sich in ruhigem Gewässer viel leichter paddelt“ (Auszug Schwedentagebuch 2011)

Lagerplatzglück

Nach einem kräftezehrenden Tag erreichen wir am Nachmittag den ersten Lagerplatz. Erleichtert ziehen wir das tonnenschwere Metallkanu mit mindestens so schweren Bleiarmen an Land und erkunden die kleine Insel, die nur uns zu gehören scheint. Wir finden eine Windschutzhütte direkt am See, Brennholz und eine Trockentoilette vor und beginnen gleich damit ein Feuerchen zu legen. Aus Tag wird Nacht und aus Nacht wieder Tag.

Mit einem letzten Blick auf das Wasser schlafe ich am Lagerfeuer und unter freiem Himmel tief und fest ein.

Mühsam blinzele mich aus dem Schlaf, während der See bereits von der frühen Morgensonne glitzert. Sanfter Dunst steigt empor und ich brauche einige Minuten ehe ich mich dazu überwinden kann, aus dem wärmenden Schlafsack zu kriechen. Nach kurzer und eiskalter Katzenwäsche mit neutral riechendem und wenig schäumenden, dafür ökologisch abbaubaren Bioshampoo im See sind wir bald abfahrbereit. Und finden uns kurz darauf in der Einsamkeit des Wassers wieder.

Wer sein Kanu liebt, der schiebt

Ich steche mit meinem Paddel in die glasklare Oberfläche hinein, die sanfte Wellen ans Land trägt. Höre nichts außer dem sanften Gleiten des Bootes – Plätschernde Stille. Ich atme die klare Luft ein und ein Lächeln zieht sich über mein Gesicht. Blicke auf die schroffe Landschaft, die unberührten Felsblöcke und fühle mich frei und leicht wie eine Entdeckerin auf weiter Fahrt. Hinter jeder Kurve bildet sich eine neue malerische Kulisse ab. Noch ein letzter Blick auf eine Biberburg ehe wir uns wieder der Karte zuwenden müssen.

Wir müssen erneut Umtragen – was wiederum bedeutet, dass wir das Kanu von einem Gewässer in ein anderes tragen oder schieben müssen, damit wir ein anderes Gebiet erkunden können. Was einfach klingt, ist in der Praxis Knochenarbeit für Arbeitsurlauber. Nachdem wir eine Stelle gefunden haben, an der wir gut an Land gehen können, müssen wir das Kanu komplett entladen, es auf den Bootswagen heben, beladen und wie eine Schubkarre zum nächsten See schieben, an der wir eine gute Einlassstelle suchen müssen.

Mückenstich deck‘ dich

Wieder im Wasser angekommen, werden die Arme Schlag um Schlag schwerer und dicke Wolken verhängen den Himmel. Im feinsten Nieselregen erreichen wir schließlich das rettende Ufer an dem uns bereits nette Gesellschaft erwartet. Nass bis auf die Knochen teilen wir Lager und Tüten-Abendmahl mit einem gesamten Mückenkönigreich und vollführen im Schatten des Lagerfeuers Mückentänze, um die uns selbst Rumpelstilzchen beneiden würde. In Gedanken, dass es kaum besser werden könnte, falle ich in einen tiefen Schlaf. Noch nicht ahnend, dass das Schleusen am nächsten Tag gefährlich enden wird…

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Kanuwandern in Schweden (Teil 1)

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2 Gedanken zu „Kanuwandern in Schweden (Teil 1)

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