Die Nacht an der Adriaküste verbringen wir wie gewohnt. Mückenreich. Die Stichanzahl liegt mittlerweile im hohen zweite Schuljahr Zähl-Niveau und das Frühstück wird unter Moskitonetz und Affenhitze eingenommen. Zeit zum Starten. Nachdem wir Venedig hinter uns gelassen haben, vollführt die Route eine Hundertachtzig-Grad-Wende. Und das in jeglicher Hinsicht…
Tag 5 – Vom Delta del Po nach Riolo Terme (128 km mit 220 Höhenmetern)
oder auch: Wenn der Name Programm ist.
Schnell merken wir, dass hier die Uhren anders ticken. Während die Strecke bis Venedig gesäumt war mit mal besseren und mal schlechteren Radwegen, sucht man hier eben jene vergeblich. Die ersten 40 km folgen wir einer Bundesstraße, auf der LKW’s an uns vorbeidonnern.
Der italienische Lastkraftwagen, kurz Mostro (zu deutsch Monster) genannt, ist ein äußerst staubiges Individuum, das beständig seiner Wege fährt. Taucht ein Hindernis (zu deutsch Fahrrad) auf seinem Weg auf, bedeutet dies nicht, dass es ihn von seiner ursprünglichen Route abbringt. Mit gleich bleibender Geschwindigkeit und einem starrsinnigen Halten seiner Linie, röhrt er an dem Hindernis vorbei, nicht ohne es durch seinen sanften Lufthauch das eine oder andere Mal ins Straucheln zu bringen.
Oder anders gesagt: Sollten LKW-Dämpfe einen Schaden beim Menschen anrichten, bin ich nun definitiv eine Geschädigte.
Mit allem was mein bepacktes Rad hergibt, kämpfe ich gegen die Monster an und fühle mich an dem einzigen Kiosk, der geöffnet und leicht asiatisch angehaucht ist, als wäre ich die Hauptperson bei der Vermählungszeremonie des Prinzen höchstpersönlich, den ich soeben aus den Fängen des Monsters befreit habe – lebendig.
Ich bereue ziemlich schnell, dass ich mir gewünscht habe, nun auf der Landstraße wieder durchatmen zu können. Als hätte mich der Wettergott gehört, schickt er eine gehörige Portion Wind – Gegenwind. Ich strampel mich in der prallen Sonne durch den Monsun, hinter die Welt und am Abgrund entlang. Zumindest am Abgrund meiner Trinkflasche, denn Trinkwasserstellen suche ich heute zum ersten Mal vergeblich…
Italien gilt als eins der schlechtesten Länder in Bezug auf Abfallentsorgung und Mülltrennung. (Was ich an dieser Stelle nicht bestätigen kann, außer in der vermüllten Hauptstadt Rom.). Wasserversorger haben versucht, den Flaschenverbrauch zu reduzieren, indem sie Trinkwasserbrunnen in belebten Gebieten installierten. Dieses Wasser gilt in der Regel als sicher und ist nur in vereinzelten Regionen nicht empfehlenswert. [Fitplein B.V: Trinkwasser im Urlaub in Italien (2022): http://www.zerowater.de]
Doch da unsere Route heute wenig belebt scheint, laufe bzw. fahre ich beinahe trocken. An diesem Tag bin ich für jede Sportsbar empfänglich (In Summe: Eine), die unseren Weg kreuzt.
Als wir nach der längsten Tour unserer Reise das Meer und die staubige Trockenheit der Felder hinter uns lassen, erreichen wir schließlich den Fuß der Berge mit einem Rücken der Zwerge und sind erleichtert, die Nacht erneut in einem kühlen Hotel verbringen zu dürfen. Und ich mache eine Entdeckung, die fortan mein gesamtes Dasein verändern wird: Autan Insektenschutz – Schutz, dem meine Haut vertraut.
Tag 6 – Von Riolo Terme nach Florenz (83 km mit 1600 Höhenmeter)
Bergfest ahoi – Man soll die Berge feiern, wie sie fallen
Nach klimatisierter Nacht steige ich etwas unsicher aufs Rad. Vor mir liegt die Etappe mit den meisten Höhenmetern bei Temperaturen um den Siedepunkt und einer etwa handtellergroßen Entzündungsstelle am Popo (trotz Linola Schutzbalsam) – Dinge, die niemand braucht und erst Recht niemand hören will. Und trotzdem Part einer Radreise sind.
In Serpentinen schlängel ich mich dem Gipfel entgegen und bekomme nach der Trockenheit des gestrigen Tages einen ersten Eindruck von toskanischen Gefilden. Viel Getreideanbau, noch heißer, dafür aber mit umso fantastischeren Weitsichten. Als wir nach drei Stunden des beständigen Bergaufschlängelns an einem Gipfelkreuz ankommen, bricht die pure Euphorie aus mir heraus.
Toskanaliebe, Gipfelglück.
Nach Abfahrten, die nicht schöner hätten sein können, erreichen wir viel zu schnell einen Campingplatz oberhalb von Florenz – und können nicht fassen, dass wir es bis hier her geschafft haben.
Tag 7 – Von Florenz nach Lucca (99 km mit 430 Höhenmetern)
Der nächste Tag beginnt mit einer Talfahrt – Und das nicht nur mit dem Gravelbike, sondern auch mit meiner Laune. Nachdem wir im besten italienisch meine Popoprobleme geschildert haben, bekomme ich mit einem Lächeln Bepantenol für Babys verkauft. Zwar wollte ich schon immer so zarte Haut wie ein Babypopo haben, ob es die gewünschte Wirkung hat, stelle ich jedoch in Frage.
In Florenz stehen sich die Touristen die Beine in den Bauch und nach kurzer Stadtbesichtigung zieht es uns sogleich wieder aus dieser heraus. Zu heiß, zu voll, zu stressig. Jede Hauptstraße queren wir gleich fünfmal um der Radspur folgen zu können, auf die bedrohlich die Sonne brennt.
Bist du zu heiß, ist sie zu schwach.
Hitzewarnung – Kaum aus der Stadt raus, verschwimmt meine Welt. Ich fühle mich fiebrig, überhitzt. Die Sonne brennt ohne Unterlass, die Flüsse sind vertrocknet. Hitzewarnungen mit Temperaturen von 38 Grad im Schatten liegen vor, der jedoch kaum zu finden ist. Nach 40 km lege ich mich unter einen Baum in verdorrtes Gras, spüre das Blut in meiner Schläfe pochen. Dass es in der Toskana heiß werden würde, war mir bewusst. Dass es mir so zusetzen würde, jedoch nicht.
Trotz der Anstrengung schwitze ich kaum, zähle die Kilometer bis nach Pisa herunter. In einem klimatisierten Supermarkt schleiche ich wie ein Ladendieb zwischen den Regalen entlang, um mich und meinen Körper etwas abzukühlen. Frage mich zwischen Melonen und Pfirsischen, wie ich die nächsten Stunden oder die fehlenden Kilometer bewältigen soll. Und während ich verzweifelt eine Kühltheke suche, die circa 165 cm lang ist und sich als eiskalter Sarg eignen würde, plant ich-warte-oben heimlich die Strecke um.
Nach gefühlt etlichen Kilometern erreichen wir in der Abendsonne die wunderschöne Altstadt von Lucca und kurz darauf einen Agritourismo hinter der Stadt.
Unter einem Agritourismo versteht man Bauernhöfe oder Weingüter, die zu touristischen Zwecken umfunktioniert wurden. Neben Zelt- oder Camperstellplätzen warten manche Agritourismo auch mit Appartements oder Zimmern auf. In unserem Fall dürfen wir unser Zelt zwischen Weinreben und mit Blick auf die toskanischen Hügelwelten aufschlagen, trinken hauseigenen Wein und genießen den Abend inmitten von Zikaden und verschiedenen Kulturen.
Und werden mit einem hervorragenden Frühstück wieder hinaus in die Welt entlassen. Dabei ahnen wir beim Losfahren noch nicht, dass dies nicht unser außergewöhnlichster Schlafplatz werden wird…