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Schlaff wie ein ausgelaugter Ballon liege ich in dem viel zu weichen Bett und starre an die Decke. Das dünne Laken von mir gestrampelt, beobachte ich den monoton surrenden Deckenventilator, der die schweren Luftmassen kaum zu bewegen vermag. Die Nacht war warm. So warm, dass der Gedankenstrudel kaum ein Ende fand. Gedämpfte Schritte drängen an mein Ohr, das warm auf Kissen gebettet ist.

Es ist der neunte Tag. – Auf einer Reise, die mir so viel mehr gegeben hat, als ich es je zu hoffen gedachte. Surrendes Gedankenkarussel. Der penetrante Geruch von Zigarettenrauch mit einem Hauch Espressoaroma steigt mir in die Nase. Es ist an der Zeit mit einem fröhlichen „Buon giorno“ in den Tag zu starten, als der Deckenventilator noch leise seine Bahnen zog.

Tag 9: Von Lajatico nach Siena (90 km mit 1550 Höhenmetern)

Ich trete auf die Terrasse von Carla, unserer Heldin der Nacht. Mit viel italienischer Herzlichkeit serviert sie uns Caffé mit warmer Milch und selbstgemachte Marmelade. Obwohl ich die italienischen Essgewohnheiten mag, sind Knäckebrot und Haferflocken noch immer ungewohnte Zeitgenossen. Und doch genieße ich den süßen Geschmack von Aprikosen und Sommerduft. Nur mit Mühe kann ich mich von dem schönen Panorama unserer Nachtherberge lösen und meine wenigen Habseligkeiten zusammenraufen. Ich muss wieder in den Tritt kommen, mich von dem ruhigen Leben der Dorfbewohner entfernen.

Mit müden Beine trete ich in die Pedale. Spüre jeden Muskel, jeden Meter den ich zurücklege. Mittlerweile fühlt sich mein Rad so vertraut an wie Autofahren bei Schneegestöber. Klingt komisch, ist aber so.

Die Luft flirrt über dem heißen Asphalt, was meine Reifen mit einem leisen Schmatzen quittieren. Das Thermometer kratzt bereits wieder an der vierzig Grad Marke und ich am Boden meiner Trinkflasche. Etwas gemischtgefühlig strampel ich mich voran. Und schaue dabei über gelbe Getreidefelder und gegen dichte Maispflanzen.

Ein Vampir kommt dem Fahrrad in die Verkehrskontrolle.

Der Polizist fragt: „Haben Sie etwas getrunken?“ – „Ja, einen Radler“

Der heutige Tag führt mich und meinen ich-warte-oben, der manchmal auch unten wartet, durch die wunderschönen Bergdörfer Volterra und San Gimignano. Nachdem ich sicher gegangen bin, dass die Sonneneinstrahlung so stark ist, dass sich selbst der glitzerwütigste Vampir nicht herauswagen würde, kann ich an diesem Tag vor allem eines: Aussichten genießen – Und Berge hochkraxeln. Und dann wieder beides gleichzeitig.

Die kleinen Stadtsiedlungen wirken aus der Ferne wie Burgruinen vergangener Zeiten. Erst beim Näherkommen erkennt man hohe Mauern und gepflasterte Böden. Viele der Städte sind zu Touristenburgen umfunktioniert worden und glänzen mit Andenken und Leuchtreklamen. Es hält uns nicht lange in der Zivilisation und so mischt sich bald wieder der Duft von Olivenhainen mit dem sanften Staub der Wohnmobil-Abgase, die sich unter Motoraufheulen die schmalen Bergstraßen hochquälen.

Wellenförmig durchfahren wir auf schmalen Landstraßen Weinanbaugebiete und Obstplantagen. Bis wir schließlich im Abendrot den Zeltplatz oberhalb von Siena erreichen. Pizza tanken – Trikots waschen.

Tag 10 – Von Siena nach Seggiano (70 km mit 1100 Höhenmeter)

Fast schon so routiniert wie ein Routiniers der kurz vor der Rente steht, begrüßen wir den neuen Tag. In dem Gefühl ewig so weitermachen zu können, fahre ich kleine Berge hinauf und große Hügel herab. Der Nagellack schmilzt in den Schuhen und das Eis in meiner Hand. Ich bin glücklich. Schnaufend fahre ich den nächsten Anstieg hoch, während grüne und rote Zahlen auf meinem Radcomputer Samba tanzen. Kraxelliebe wie sie im Buche steht. Jauchzend fliege ich die kurvenreichen Hügel hinab. Spüre den Fahrtwind im Gesicht und den Staub auf meiner Haut.

Je tiefer wir in die Toskana eintauchen, desto schwieriger wird es Trinkwasser zu finden. Obwohl Komoot uns immer wieder die nächsten Brunnen auf unserem Weg anzeigt und uns freundliche Italiener mit tiefer Liebenswürdigkeit weiterhelfen, werden Wasserstellen seltener. Flüsse sind ausgetrocknet, Wasserbecken stillgelegt. Und so fühlen sich die kleinen Brunnen wie große Oasen an.

Meter werden zu Kilometern und Höhenmeter zur Höhenmonstern

Obwohl wir die Tage so geplant haben, dass wir täglich circa 100 Kilometer zurücklegen, haben wir die Rechnung ohne die Toskana gemacht. Wir planen die Etappenlänge nach der Erreichbarkeit möglicher Übernachtungsplätze um, so dass wir bereits nach 70 km am höchsten Punkt eines kleinen Bergdorfes ankommen. Eine ältere Dame, die wie meist üblich nur italienisch spricht, zeigt uns das im Obergeschoss befindliche B&B Appartements ihres Hauses. Mit Lavendelduft und knarzenden Balken und der Gewissheit angekommen zu sein.

Obwohl die Tage lang und die Kilometer ungewohnt sind, fühlen sich die Beine mit jedem Tag besser an. Die Nächte vergehen schnell, der Schlaf ist tief. Und obwohl wir schon so weit gekommen sind, haftet sich tief in mir ein nagendes Gefühl fest, Morgen steht die vermutlich schlimmste Etappe der ganzen Reise an: Über 1000 Höhenmeter auf den ersten 10 Kilometern. Zum höchsten Punkt unserer Tour. Und das am vorletzten Tag… Mit unruhigen Gedanken pizza ich mich in den Schlaf. Und freue mich auf die letzten beiden Etappen einer großen Reise.

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Mit dem Rad durch Italien (Teil 4)

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2 Gedanken zu „Mit dem Rad durch Italien (Teil 4)

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