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Selten war ich so aufgeregt, als ich meine Tasche packte. In meinen Rucksack wanderten Thermosocken, Skiunterhosen und Cashmere-Pullover – Einreiseanmeldungen und Coronatests. Und vor allem jede Menge Augenringe, die ich vor lauter Aufregung in den letzten zwei Nächten gesammelt habe. Doch nun bin ich hier. In einem Flugzeug. Über Tromsö – 344 km nördlich des Polarkreises. Und fühle mich wie einem schwarz-weiß Film. Sehe unter mir die weißen Berge und das schwarz-türkise Meer – Und bin schockverliebt.

Tromsö ist eine Stadt in Nordnorwegen. Ein Land, das sich bis zum nördlichsten Punkt des europäischen Festlandes zieht. Die Stadt selber befindet sich auf einer der vielen Inseln, die im Nordmeer verteilt liegen und die durch Brücken mit dem Festland verbunden sind. Tromsö gilt als das drittgrößte städtische Gebiet nördlich des Polarkreises, ist jedoch durch die Wirkung des Golfstromes wärmer als die meisten anderen, die auf dem selben Breitengrad liegen.

Landeanflug – -5 Grad. Ein breites Strahlen zieht sich über mein Gesicht, als ich im letzten Tageslicht um 13 Uhr norwegischen Boden betrete. Die Stadt ist von einer flauschigen weißen Decke überzogen, der Himmel graut. Ich rutsche auf dem festgetretenen Schnee unter meinen Füßen und lasse meinen Blick über Bergkämme schweifen. Der Wind bläst mir kalt ins Gesicht, während ich mich zu Fuß auf den Weg in die Innenstadt mache. Und werde dort von einer wundervoll hell erleuchteten Weihnachtsstadt empfangen.

Die Sehenswürdigkeiten der Stadt sind schnell abgelaufen. Über die Tromsöbrua (Tromsöbrücke) gelangt man auf das Festland, auf dem die wunderschöne Eismeerkathedrale steht. Circa einen Kilometer weiter befindet sich der Fjellheisen-Aufzug, der auf den Hausberg Storsteinen (421m Höhe) führt und von dem man einen traumhaften Blick auf die Stadt hat. (Über die Sherpa-Treppen mit 1300 Steinstufen kann man den Berg übrigens auch kostenfrei und aus eigener Menschenkraft besteigen). Doch wer nach Tromsö fliegt, reist dort nicht hin, um einen Stadturlaub zu machen. Sondern um die Landschaft zu erleben, Ausflugstouren zu machen und Polarlichter zu finden.

Zu Besuch bei Huskyfreunden

So geht es für mich am nächsten Morgen zu meiner ersten Ausflugstour – dem Hundeschlitten-Fahren. Nervös oder vielleicht auch vor Kälte zitternd, stehe ich vor dem Holzschlitten und lausche der Einweisung: Festhalten, Bremse treten, bergauf beim Anschieben helfen. Klingt machbar. Die Huskys zerren aufgeregt an den Schlitten und wollen starten. Und ich gleich mit.

Mit Thermoanzug und Schneeboots bewaffnet, geht es immer zu zweit auf einem Schlitten auf wunderschönen Loipen durch die Landschaft. Vorne befindet sich immer der mutigste und klügste Hund, auch Leittier genannt. Dicht gefolgt von Motivatorhunden, die viel Energie haben und zum Abschluss folgt in der Regel das schwerste Tier, das den Schlitten stabilisiert. Vorne laufen die Weibchen, hinten die Männchen – so viel zur Theorie. Ein aufgeregtes Bellen gellt durch den Tag, der fast wie Nacht erscheint. Die Hunde rucken am Schlitten und schauen bei jedem Bremsmanöver vorwurfsvoll nach hinten. Laufliebe in Perfektion. Der Schlitten führt mich durch kleine Wälder und über weitläufige Wiesen. Lautlos und durch gelegentliches Bellen begleitet, bewegen wir uns durch die Natur und ich bin schon fast traurig, als nach zwei Stunden die Fahrt vorbei ist. Aufwärmen – Kakao tanken.

Die Polarnacht ist das mit den Lichtern, oder?

In der Zeit zwischen dem 26. November und dem 15. Januar ist in Tromsö die Polarnacht. Das bedeutet, dass die Sonne unter dem Horizont bleibt, also nicht sichtbar wird. Oder anders gesagt: Man sieht keinen Sonnenauf- oder untergang. Polarlichter sind nochmal eine andere Baustelle und haben mit der eigentlich Polarnacht nichts gemein.

Jeden Tag wird es gegen zehn Uhr hell und der Himmel zeigt ein wunderschönes Farbspiel. Gegen 13 Uhr verschwindet dann bereits wieder das Tageslicht. Jetlag mal anders.

Tourenglück

Neben Rentierschlittenfahrten und Whale-Watching Touren auf schaukelnden Booten, kann man auch Langlaufski oder Schneeschuhwanderungen mitmachen. Die Touren sind typisch norwegisch und daher vor allem nicht gerade günstig. Pro Tagestour, die man vorher bequem online buchen kann, bezahlt man pro Person zwischen 100 und 200 Euro. Und die Auswahl fällt schwer… Aber natürlich kann man Norwegen auch auf eigene Faust erleben.

So begeben wir uns am nächsten Morgen schon vor Sonnenaufgang auf die Fähre nach Svensby zum Motorschlitten fahren. Schon bei der Überfahrt komme ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Auf der anderen Seite des Fjords türmen sich Berglandschaften und Gletscher auf. Mein Herz macht einen Sprung vor Freude und ich kann es kaum erwarten, die Landschaft mit dem röhrenden Monster zu erkunden. Bei -15 Grad und Schneewind fahre ich mit 25km/h an zugefrorenen Seen vorbei und durch zauberhafte Bergwelten. Das Schneemobil lässt sich gut steuern: Ähnlich wie ein Quad muss man sich in den Kurven nach rechts oder links lehnen, um das Fahrzeug in der Spur zu halten. Wir brettern über Hubbel und halten mit der Gruppe immer wieder an schönen Aussichtspunkten, trinken Kakao und machen Schneeengel. Einfach traumhaft.

Polarnight Halbmarathon – mein erster Lauf in der Arktis

Ursprünglich hatten wir geplant den Polarnight Marathon laufen, der jedoch coronabedingt abgesagt wurde. Bei der kompletten Marathondistanz wird man 42,2 km weiter in der Natur „ausgesetzt“ und läuft in die Innenstadt hinein. Da wir uns das bei den Temperaturen in Eigenregie nicht zutrauen, entscheiden wir uns die Halbmarathondistanz, bei der man auf der Tromsöya-Insel bleibt und die Küstenstraße hin und wieder zurück läuft, in Angriff zu nehmen.

Mit GPS-Track auf der Uhr stehe ich in der wunderschön beleuchteten Innenstadt. Startschuss. Ich laufe über den festgetretenen Schnee und meine Füße rutschen mit den Trailschuhen auf dem vereisten Boden. Ich verstehe mit jedem Meter mehr, warum sich viele Spikes unter die Schuhe schnallen, doch dafür ist es nun zu spät. Bei Eiswind laufe ich aus der Stadt hinaus. Ich ziehe meine Kapuze enger um das Gesicht und frage mich, warum ich nicht einfach mal einen normalen Urlaub buchen kann. Der Weg führt auf eine breite Fahrstraße, die halbrund um die Insel führt. Ich blicke über den Fjord und auf die Berge und ein Strahlen breitet sich auf meinem Gesicht aus. Wunderschön. Obwohl die Strecke selber wenig abwechslungsreich ist, entschädigt das Panorama um so mehr.

Nach der Hälfte der Strecke dreht der Track einfach um und ich laufe auf dem selben Weg zurück. Die Kilometer ziehen sich daher. Von vorne weht mir wieder der kalte Wind entgegen und ich verliere mehr und mehr das Gefühl in meinen Fingern. Sehnsüchtig denke ich an meine Skihandschuhe, die warm auf meinem Zimmer liegen und fluche leise vor mich hin. Das letzte Tageslicht verabschiedet sich langsam. Der Weg ist von Eisbrettern durchzogen und man muss aufpassen, wie man seine Schritte setzt. So vergehen die Kilometer nur zäh. Ich atme tief ein. Versuche meine Hände vorsichtig zu bewegen und mich in dem Blick auf die Berge zu verlieren. Wegzuträumen, an warme Sommerwanderungen zu denken. Bei Kilometer 18 führt der Weg endlich zurück in die Stadt. Der Wind ist nun im Rücken, das Atmen fällt nicht mehr so schwer. Und während ich die letzten Kilometer in Richtung des Lichts laufe, hellt sich auch meine Miene merklich auf: Ich bin einen Halbmarathon in der Arktis gelaufen. Unfassbar. Als ich nach 21,1 km die Läuferstatue erreiche, kann ich ein Jauchzen kaum zurückhalten. Finisherglück.

Die letzte Nacht – oder auch: Das große Finale

Die beste Reisezeit, um Polarlichter zu sehen, ist Februar. In der Zeit ist das Wetter beständiger und der Himmel klarer. Anhand einer Skala lässt sich ablesen, wie gut die Polarlichter, auch Nordlichter oder Aurora genannt, zu sehen sind und in der Woche, in der ich in Tromsö bin, liegt der Wert auf einer Skala von 0 (gar nicht) bis 9 auf einer läppischen eins. Da das Stadtlicht den Himmel zu sehr verschmutzt, muss man um Polarlichter zu sehen meist tiefer in die Wildnis hinein fahren.

So sitze ich zusammen mit einer Gruppe und einem Guide in einem Minibus, der uns bis an die finnische Grenze bringt. Bei -20 Grad und Rentierwürstchen, warten wir am Feuer und starren in den Sternenhimmel. Versuchen unsere Füße warm zu halten und blicken immer wieder durch die Kamera, da damit die Strahlung besser sichtbar ist.

Polarlichter zu erklären, sind für mich immer ein kleines Ding der chemischen Unmöglichkeit. So viel ich verstanden habe, wird Sonnenenergie (Protonen) durch kleine Löcher in der Atmosphäre freigesetzt, die daraufhin ziellos durchs Weltall treiben. Treffen sie auf die Erde, werden sie von der Erdatmosphäre durch die magnetische Strahlung abgelenkt und zu den beiden Polen (Nordpol und Südpol) geleitet. Dort können sie durch kleine Unebenheiten in der Atmosphäre in die unterschiedlichen Luftschichten gelangen und werden für uns durch die chemische Reaktion, die dann eintritt, als Polarlicht sichtbar. So entstehen je nach Luftschicht grüne, rote oder violette Auroren.

Gespannt schauen wir nach oben und ich bin zunächst etwas enttäuscht, als mir gezeigt wird, das sich hier eine Aurora bildet. Der Himmel zeichnet sich an der Stelle blassgrau, während man auf der Kamera einen grünen Schleier sieht. Gespannt schaue ich weiter in die Nacht. Das grau wird grünlicher und spannt sich in einem Bogen über den Himmel. Auf der Kamera ist die Farbe deutlicher, jedoch kann ich auch mit bloßem Auge erkennen, was dort am Himmel passiert. Trotz der Kälte wird mir ganz warm ums Herz und ich kann es kaum fassen, dass wir trotz der schlechten Bedingungen das wunderschöne Farbspiel zu sehen bekommen. Ein Herzmoment.

Als ich das Flugzeug am nächsten Tag wieder besteige, bin ich vor allem dankbar. Dankbar, wunderschöne Momente und herzergreifende Zufälle. Für Augenblicke, in denen ich aus dem Staunen nicht mehr heraus gekommen bin. Und weiß schon beim Abheben, dass ich mit Sicherheit nicht das letzte Mal meine Fußabdrücke im Schnee hinterlassen haben. Hier, in der Polarnacht Norwegens.

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Tromsö – Eine Reise in die Polarnacht

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8 Gedanken zu „Tromsö – Eine Reise in die Polarnacht

  1. Danke für diesen hervorragend verfassten Bericht, der selbstverständlich 5 von 5 Sternen verdient!!! Beim lesen glaubt man, auf Deiner Reise mit dabei gewesen zu sein, da Du ihn so mitreißend geschrieben hast!!

    1. Vielen Dank für die wunderschönen Worte, lieber Christian 😀. Es ist so toll für mich, dass du meine Gedanken und Gefühle nacherleben konntest. Danke!

      Liebe Grüße und einen schönen Wochenstart, deine Sara

  2. Was für ein toller Start ins neue Jahr. 2022 kann nur ein Knaller werden. Vielen Dank für den ausführlichen Bericht und die vielen tollen Einblicke. Da strahlt ja jemand auf jedem Bild und fliegt sogar beim Laufen über den Schnee 🏃💪

    Klasse 🤗

    LG der Marco

    1. Dankeschön lieber Marco. Ich bin eben eiskalt gestartet 😏😄.
      Die Tage da oben waren eine ganz besondere Zeit für mich und egal wie das Jahr weiterläuft… Der Start war schon mal der Knaller 😀😍. Ich hoffe deine erste Woche lief auch schön und vielversprechend 😀

  3. Ein toller Reisebericht, der nicht nur durch die atemberaubenden Bilder, sondern auch durch die schönen Aktivitätsmöglichkeiten, die Du beschreibst, dazu ermuntert, auch mal dorthin zu reisen. Und Deine sehr gute Erklärung zu den Polarlichtern habe ich auch verstanden 😉
    Ich glaube, ich würde auch den Halbmarathon mitmachen, das ist einmalig und außergewöhnlich!

    Viele Grüße aus Bremen, Tim

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