Über die dunkle Seite von Tromsö oder auch: Ein Winterwunderland ohne Wunder
Meine Füße platschen durch Pfützen, die sich wie kalte Pfeilspitzen durch den Stoff meiner Hose bohren. Zentimeter für Zentimeter kriecht die nasse Kälte empor und wird Eins mit von Dunst durchtränkten Haaren, die mir feucht am Hals kleben. Als ich an den nördlichen Wendekreis dachte, fielen mir zwischen der Frage nach Eisbären und Pinguinen vor allem zweistellige Minusbereiche ein, die ich bei meinem letzten Aufenthalt tagtäglich schneidend kalt zu spüren bekam. Doch statt einem Winterwunderland, schmilzt der weiße Zauber bei Temperaturen im leichten Plus stündlich – Und seine Magie gleich mit.
Während mein Köpfchen noch mit der Vorstellung zu kämpfen hat, dass Winter nicht gleich Winter ist und ein Winterwunderland auch ohne Wunder aus kommt, herrscht um mich herum reges Treiben. Räumfahrzeuge häufen matschige Schneemassen zu grau-weißen Bergen zusammen, dessen Melancholie nicht schöner dargestellt werden könnte. Einige wenige Spikes klicken auf grauen Asphalt, der zusammen mit dem grau-melierten Wolkenhimmel trostlos erscheint. Irgendwie ist alles anders.
Fangen wir vorne an: Mit dem ersten und letzten Ausflug in diesem Jahr
Es ist noch früh, als uns ein Reisebus im dichten Schneetreiben nach Breivikeidet in der malerischen Umgebung von Svensby bringt. Ein Großteil der Mitreisenden wird Husky-Schlitten fahren, deren freudiges Bellen schon bei der Ankunft durch Mark und Bein geht. Doch da wir diese tolle Erfahrung bereits machen durften, schauen wir mit einem stillen und wissenden Lächeln kurz zu den Schlitten hinüber und widmen uns schließlich Norwegens Nationalsport: dem Langlaufskifahren.
Nach einer kurzen Einführung über Fahrtechniken und Aufstehversuche, machen wir unsere ersten zaghaften Schritte in einer Loipe. Obwohl das Ganze vermutlich mehr einem Entchenmarsch ähnelt, zieht sich ein breites Strahlen über mein Gesicht: Langlauf, ich mag dich. Mit Blick auf die verschneiten Berg, die ganz Schneechaos-like in den Star Wars Vorspann eingerahmt sind, wird aus Gehen gleiten und aus watscheln fahren. Nach zwei Stunden und den ersten beiden Hügelabfahrten kommen wir glücklich wieder am Ausgangspunkt an, essen Karottenkuchen und wärmen uns am Feuer auf.
Essen und Trinken in Norwegen
Da im Winter die Straßen häufig gefroren und Lieferwege lang sind, essen die Einheimischen in erster Linie lang-haltbare und eingemachte Lebensmittel: Neben Karotten und Kartoffeln gibt es ganz im Sinne des Fischervolkes viel Fisch und natürlich Rentierfleisch. Auch Gebäck ist sehr beliebt und wird vor allem in Form von Waffeln mit Marmelade, Karottenkuchen, Schokokuchen oder Hefegebäck (Kanelbol, Cardamonbol) dargeboten. Obstkuchen sucht man eher vergeblich. Dazu wird in rauen Mengen Filterkaffee (wahlweise Kakao oder Tee) gereicht, der meist einen etwas säuerlichen Beigeschmack hat. In der Stadt ist das Leben einfacher, aber die Preise gesalzen (Für eine Pizza bezahlt man gerne 30 €, eine kleine Cola dazu 5 €).
Als uns der Bus schließlich in der Stadt absetzt, ahnen wir noch nicht, dass wir hier nun erst einmal gestrandet sind. Und tapsen etwas irritiert in den ersten Schneematsch des Tages.
Irgendwie anders.
Als wir am nächsten Abend den Pier erreichen, wartet bereits der Guide der Tour auf uns, um uns mitzuteilen, dass die heutige Tour abgesagt wurde. Aufgrund von Sturmwarnungen bis zum 90 km/h und Schneeverwehungen, mussten die Tagestouren gecancelt werden, der Fjellheisen Aufzug bleibt bis auf Weiteres geschlossen. Zwar kann man sich auch in Tromsö Mietwagen leihen, doch die Straßen sind nicht geräumt und das Unbekannte einsame Auswärts der Stadt nicht gerade einladend.
Und plötzlich wird es voll in der Stadt.
Tromsö ist vor allem für seine zahlreichen Ausgangstouren und die Chance bekannt, Polarlichter zu sehen. Doch wenn das Wetter dem ganzen einen Riegel vorschiebt, fühlt sich die Stadt plötzlich verwunderlich verwundbar an.
Wie in einem Wild West-Movie…
„Kling kling“ – „Die Stadt ist nicht groß genug für uns beide, Cowboy!“
Alles verstummt, als ich den leisen Hauch der Schwungtür höre. Das metallische Klirren der Sporen nähert sich. Vorsichtig betaste ich meine Gürtelschlaufe, ehe ich das metallische Klingen des Spucknapfes wahrnehme. Als ich mich langsam umdrehe, die Hutkrempe tief ins Gesicht gezogen, sehe ich vor meinem geistigen Auge ein Büschel Steppengras vorbeirollen.
Doch statt meines Rivalen, laufen Scharen von vorwiegend aus der asiatischen Kultur stammenden Menschen an mir vorbei, die mit Metallspikes unter den Schuhen unter lautem Klingen über den blanken Asphalt ziehen.
Die Restaurants und Cafés sind ausgebucht, die Fußgängerzone übervölkert. So kurz vor dem Jahreswechsel legt ein Kreuzfahrtschiff nach dem nächsten an. Und wir sind überfragt.
Kaffeetrinken und Abwarten?
Das Leben ist wie ein Ast Bananen – nicht immer süß, mit ein paar braunen Stellen und manchmal unreif.
Wir schnüren unsere Laufschuhe und entdecken die Insel auf eigene Faust. Viele Orte sind uns von letztem Jahr noch bekannt. Und so finden wir schnell die Vielzahl von Loipen wieder, die beleuchtet und öffentlich zugänglich sind und für die man sich nur im Ort ein paar Skier leihen muss. Neben der berühmten Sauna im Hafenbecken, in der man zum Abkühlen in den eiskalten Fjord springen kann, gibt es aber auch ein Schwimmbad mit Sauna und original finnischer Aufgusskultur (jeder nimmt sich eine Kelle Wasser, wenn er sich danach fühlt und gießt es auf den 90 Grad warmen Ofen).
Wir entdecken die Südküste der Insel, bei der uns der raue Wind entgegenschlägt und ein Strand mit Parklandschaft für Einheimische angelegt wurde. Und wir finden heraus, dass im Park und am See Prestvannet Feuerstellen und Grillplätze sind, an denen abends die Leute mit selbst mitgebrachten Feuerholz und im Sommer mit Grillgut ihren Ausklang feiern. Hier lassen sich im Übrigen auch ohne teure Ausflugstouren wunderschöne Polarlichter in freier Wildbahn beobachten – Magisch schön.
Wir besichtigen das Polaria, dass neben einer Fütterungsshow mit Seelöwen auch über die Themen Umweltschutz und Klimawandel informiert (Eintritt Erwachsene: 220 NOK (ca. 22 €)).
Abends sitzen wir in der Magic Ice-Bar zwischen Eisskulpturen auf Eishockern und trinken Cocktails, natürlich aus vereisten Gläsern. Trotz Minusgraden im Innenraum wird mein Herz ganz warm und ich genieße die stimmungsvolle Atmosphäre zwischen 90er Jahre Musik und Höhlenforschern (Eintritt: 250 – 300 NOK (ca. 30 €)).
Am Hafen lädt die Weihnachtskirmes von Mitte November bis zum 31.12. zum Riesenrad fahren und Eislaufen ein.
Silvester in Tromsö
Und so verbringen wir Silvester mit einem langen Spaziergang, gefolgt von Schlittschuhfahren und Hotdog essen. Da die Norweger Silvester zu Hause feiern, sind ein Großteil der Lokale an Silvester und Neujahr bereits ab mittags geschlossen, die Messe in der Eismeerkathedrale nur für Kreuzfahrtgäste zugänglich und auch das Fjellheisen-Restaurant nur für Dinnergäste geöffnet (3000 NOK pro Person (300 €)). So kommt es, dass am Silvesterabend viele Touristen einsam durch die leeren Straßen ziehen. Wir finden nach einigen vorsichtigen Versuchen durch Zufall ein tolles Lokal mit einem freien Tisch, verbringen einen wunderschönen Abend dort und stehen schließlich im Schneesturm an einer Bushaltestelle mit gutem Blick auf die Tromsöbrücke.
Das Jahr war bewegt. Selten musste ich mich so oft Überwinden, Grenzen verschieben und mit Ängsten leben. Auch jetzt spüre ich noch, dass die Themen Schlaganfall und Flut ihre Spuren hinterlassen haben. Doch die letzten Tage in Tromsö und der wunderschöne Abschluss des Jahres, bewegen etwas in mir, dass sich nach Neuanfang und Glückswellen anfühlt.
So passen diese letzten Momente im Nebeldunst, mit Schnee in den Haaren mitten an einer Bushaltestelle metaphorisch gesehen ausgesprochen gut. Ich bin glücklich. Und als um 0 Uhr die Kreuzfahrtschiffe hupen und ein Feuerwerk losbricht, fühlt es sich an, als würde endlich alles gut werden.
Der gute Rutsch lässt grüßen
Verkleidete und schick angezogene Jugendliche strömen angetrunken aus allen Ecken der Stadt, rufen ein „Godt Nytt“ aus, während wir auf spiegelglatten Straßen zurück in die Innenstadt schlittern. An einem einsamen Crépèsstand mitten in der Stadt stoßen wir schließlich mit Nutella und Banane, Chai Latte und Kaffee auf ein neues Jahr an. In dem Bewusstsein, selten so einen gelungenen Jahresstart erlebt zu haben, stehen wir dort und wissen, dass es richtig war zurückzukehren …in die arktische Zone von Norwegen.
Fortsetzung folgt