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Zwischen „Arm ab“ und „arm dran“ scheint der Unterschied manchmal gar nicht so groß zu sein. Zumindest nicht in einer Laufpause, denn die hätte ich trotz einem Arm weniger vermutlich nicht einlegen müssen. …Denke ich mir still. Das sagt mir schließlich auch die kleine Gewitterwolke, die beständig über meinem Kopf kreist und mir verkaufen will, dass ich ziemlich arm dran bin. Pustekuchen! Das Leben ist eben kein Ponyhof. Auch wenn es manchmal schwer danach riecht…

Was vom Laufen kommt, geht beim Laufen.

Es war Oktober, als ich die erste kleine Laufregenwolke wahrnahm. Die Beine fühlten sich überraschend schwer an, der Laufstil nicht rund und immer wieder tauchten kleine Gewitterblitze seitlich in der Hüfte auf. Doch da es nach einem Marathonwettkampf und einem knapp 40 Kilometer langen Traillauf auch mal Zwicken und Zwacken darf, lachte ich der Sonne lieber fröhlich ins Gesicht. Und lief beständig meiner Wege fort…

Wenn einem mehr Schlagzeilen als Inhalt einfallen

Das Jahr zieht ins Land und die Schmerzen hinterher. Ich spüre jede Bewegung, kann nicht mehr schmerzfrei Sitzen, Stehen, Liegen, Aufstehen oder Treppen steigen. Doch tatsächlich muss mir ausgerechnet ein Poltergeist das endgültige Zeichen setzen. Nachdem er mir beim Halloweenlauf wie mit einer unsichtbaren Peitsche in die Wade geschlagen hat, humpel ich wie in Ketten gelegt nach Hause und weiß, dass ich für die nächsten Tage erst mal pausieren werden. Aber dafür vermutlich mit frisch geölter Hüfte wieder meine Glieder schwingen kann. Denke ich hoffnungsvoll.

Zu Besuch bei Dr. Google

Doch mein Plan geht nicht auf. Trotz wochenlanger Pause werden die Schmerzen nicht weniger und so tue ich das, was jeder Läufer tun würde: Doktor Google befragen. Das Internet spuckt mir eine Überlastung aus und ich ihm ins Gesicht. Als der Orthopäde mir im Dezember genau das bestätigt, mit der Bemerkung, nach ein paar Tagen Tablettenpower, sollte wieder alles in Ordnung sein, ist für mich die Welt wieder gerade gerückt, zumindest vorerst.

Im Ewigen Eis

Meine Reise geht weiter. Und führt mich nach Tromsö und in die Berge. Doch obwohl der Arzt mir ein junges-Rehlein-Gefühl-prophezeite, fühlt sich alles mehr nach Nilpferd und geschlachteter Hyäne an.

Ursachen sind schön – Lösungen auch

Ich laufe dreimal in der Zeit, mit von Mal zu Mal stärker werdenden Schmerzen. Ich beschließe erneut den Orthopäden aufzusuchen.

Trink ein Eierlikörchen – das Leben muss weitergehen. Oder auch:

„Mit dem Laufen sollen Sie sowieso aufhören. Und Spazieren gehen ist auch eine viel zu hohe Aktivität. Damit müssen Sie leben. Nehmen Sie danach eine Tablette. Und Einlagen verschreibe ich auch.“

So sehr ich ein Freund der deutlichen Worte bin, so wenig deutlich hätten sie sein müssen.

Der Gedanke mit dem Laufen aufzuhören, kommt der Apokalypse nah… Für mich bricht eine Welt zusammen: Meine Herzenswelt. Wie ein Nichts sitze ich zusammengekauert auf dem Badezimmerboden und weine mir dir Augen aus dem Kopf. Weiß, dass Laufen zwar nicht Leben bedeutet, aber manchmal doch so viel mehr für mich ist.

Die nächsten Wochen durchlebe ich eine Art Trennungsphase. Fühle mich nicht mehr als Teil der Internet-Community, nicht wie ein Teil von mir selber. Ich vermisse meine Bekannten, mein Leben, meine großen Ziele, die nun einfach zerbrochen sind.

Von Gravelevents zu Kraultechnikkursen

Die nächsten Wochen sind hart für mich. Doch jede Gelegenheit bietet auch wieder eine neue Chance. Und so suche ich mir neue Projekte. Jene, die das Leben wieder aufregend machen und mir zeigen, dass die Erde weiterkreist: Ich plane Bikepacking-Events und besuche Fahr-Technikkurse, sitze auch ohne Musik oder Internet stundenlang auf dem Rollentrainer und meistere die ersten Gravel-Trailfahrten. Ich buche ein Bikefitting und übernachte bei Minusgraden draußen. Und doch muss mich jedes Mal auf Neue überwinden, mich mit neuen Ängsten auseinandersetzen – An mir arbeiten und damit abfinden, wieder ein Niemand zu sein.

Physiowendekreise

Manchmal ist ein Schritt so unscheinbar, dass man ihn kaum wahrnimmt. So achtlos getan, dass er im immerwährenden Kreisverkehr kaum Beachtung finden würde. Und doch trägt er mich die entscheidenden Zentimeter nach vorne.

Ich bekomme Krankengymnastikstunden verschrieben. Und so sehr ich mich davor fürchte, den nächsten Experten aufzusuchen, keimt in mir doch ein Funke Hoffnung auf. Es muss ein Sportphysio her. Keiner, der mir sagt, dass ich nicht wieder laufen kann. Sondern einer, der mir realistisch sagen kann, ob ich wirklich nicht wieder laufen darf.

Jeder Termin ist ein neues Kapitel in einem immer länger werdenden Buch

Ich habe Angst vor dem ersten Termin. Wie eine Mutter am Elternsprechtag sitze ich gebannt auf der Liege und warte auf die vernichtenden Worte. Doch sie kommen nicht. Es bleibt bei einer Überlastung, die irgendwann auch wieder weg gehen wird.

Es gilt Dysbalancen auszugleichen, den Allerwertesten zu kräftigen.

Das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Berge

Während mein ich-warte-oben am Wochenende durch die Wälder hüpft, hüpfe ich zwischen Gymnastikmatte und Gravelevents hin und her. An den Abenden quäle ich mich durch unzählige Hinternübungen und meine ersten beiden zwei Kilometer-Laufversuche scheitern kläglich. Erneut bemerke ich ein Ziehen im Rücken, im Po oder in der Seite. Doch nun bin ich für meinen Fortschritt nicht mehr alleine verantwortlich. Habe jemanden an meiner Seite, der mir sagt, was zu tun ist, mir die Richtung weißt. Und der mir damit eine große Verantwortung von den Schultern nimmt.

„Nichts wächst ohne Sonne“, sagte sie und trat aus ihrem eigenen Schatten heraus. (Kopflosherzvoll)

Es ist Mai. Neben weiteren Kräftigungsübungen, bekomme ich einen Laufplan zugeschickt: In 10 Wochen soll ich eine halbe Stunde am Stück schmerzfrei laufen können. Eine Distanz, die vernichtend klein zu sein scheint und die in dem Moment doch mein ganzes Glück bedeutet: Ich darf Laufen – Und das direkt dreimal die Woche.

Die Bewegung fühlt sich fremd an. Und gleichzeitig so vertraut wie Elternhaus und Staub.

Ich starte mit zehnmal drei Minuten laufen mit je zwei Minuten Gehpause. Walk’n Run nennt sich das Spiel und fühlt sich ein bisschen an wie Stau auf der Autobahn. Nur schöner. Ich fliege über den Asphalt, spüre die Bewegung, die einer Mischung aus Seifenblasen und Regentanz gleicht. 50 Minuten bin ich unterwegs und fast acht Kilometern auf der Uhr – mit anderen Worten: Ein Meilenstein.

Ich blinzel in die Sonne.

Vielleicht, um ein paar Tränen zu verstecken. Vielleicht, um den Moment einzufangen, von dem ich mich schon verabschiedet hatte.

Viel zu schnell bleibe ich stehen, verweile im Nichts. Weiß, dass es weder gut, noch schlecht – weder heile noch verletzt ist. Und bin in der Gewissheit der Unwissenheit gefangen.

Die Tage vergehen, die Distanzen werden länger. Und auch das Gefühl, dass dort etwas ist, was nicht sein sollte, verschwindet. Aus 10 x 3 Minuten, werden 3 x 10 Minuten. Und aus mir? Ich fühle mich noch nicht wie ein Läufer und doch, dass ich nicht mehr weit entfernt bin.

Zwischen altem Staub sammelt sich neuer Dreck – Zwischen alten Erinnerungen neue Aussichten

Meine Ziele überschlagen sich, während ich mich auf dem Rad überschlage: Mein Lenker steht mindestens so schräg, wie dieses Jahr aussieht. Und doch habe ich das Gefühl, endlich angekommen zu sein. Die Worte Marathon noch in diesem Jahr stehen im Raum und gleichzeitig mein Rad noch nicht an der Luft.

Und weiß, in der Gewissheit einer Unwissenden: Ich bin und bleibe eine bunte Tüte Gemischtes.

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Back to running shoes- Mein Lauf-Wiedereinstieg

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10 Gedanken zu „Back to running shoes- Mein Lauf-Wiedereinstieg

  1. Wieder richtig toll geschrieben Sara und ich kann mich in Deine Gefühlslage nur zu gut hinein versetzen. Nach meiner OP war auch lange Zeit ungewiss, ob ich überhaupt noch mal laufen bzw.Sport machen darf. Um so glücklicher ist man dann, wenn es dann grünes Licht vom Arzt gibt! Hoffe das es bei Dir weiterhin bergauf geht und Deine Leidenszeit dauerhaft beendet ist!
    LG, Kersten

    1. Dankeschön für deine lieben Worte ❤ das muss eine unglaublich schwierige Zeit für dich gewesen sein und es ist so schön, dass es bei dir irgendwann die Erlösung gab. Ich hoffe es auch sehr und es fühlt sich zum Glück langsam alles wieder richtiger an 😀

      Ganz liebe Grüße, Sara

  2. So schön geschrieben- und ich hab gedacht, du hast mit dem Biken einfach so eine neue Leidenschaft für dich gefunden.
    Das mit der Laufpause ist hart – I can feel you…

    Aber schön, dass du dir immer die positiven Möglichkeiten suchst – das wird ✊🏻🍀

    Auf dass wir bald mal wieder zusammen über die Trails schreddern … ganz liebe Grüße!

    1. Danke,das ist ganz lieb von dir 🥰. Ein bisschen have ich das auch, aber mein Herzchen schlägt nach wie vor für das Laufen 😀. Ich freue mich schon sehr darauf, mit dir gemeinsam wieder durch den Wald zu hüpfen.

      Starte morgen gut ins Wochenende!

  3. Über Instagram und deine Likes (vielen Dank dafür ❤️) bin ich gerade auf deinen Blog und diesen Artikel gekommen und regelrecht darin versunken. Du schreibst wirklich toll, man fühlt richtig mit.

    Ich liebe das Laufen auch und kann mir gar nicht vorstellen wie schwierig die lauffreie Zeit und das erste vernichtende Urteil gewesen sein muss. Umso mehr freue mich wirklich, dass du endlich wieder Laufen kannst und es in die richtige Richtung geht! Ich drücke dir ganz soll die Daumen für deinen nächsten Marathon 😉 Ich bin mir sicher du bist in dieser Zeit über dich hinaus gewachsen.

    1. Dankeschön für dein liebes Kompliment und die wunderschönen Worte 🥰 Das bedeutet mir wirklich unheimlich viel. Ich freue mich wahnsinnig, dass du mich hier „gefunden“ hast und hoffe, wir bleiben in Kontakt!

      Ganz liebe Grüße, Sara

  4. Was für ein Beitrag. Auch wenn ich viele der Punkte schon kannte ist doch nicht leicht zu lesen 🙁 Ich drücke dir auf jeden Fall weiter die Daumen das sich alles zum Guten bessert.

    LG Marco

  5. Haha, so’n Eimer von Orthopäden habe ich auch mal aufgesucht. Mal im Sinne von einmal. Seitdem gehe ich bei Beschwerden aller Art als Selbstzahler zum Physio, dem ich zu 100% vertraue.

    Alles Gute weiterhin!

    1. Danke für deinen Kommentar 🤗. Für die Diagnose und auch für die Tabletten war ich schon dankbar, aber vermutlich sind wir mit unserer Denkweise einfach nicht die richtige Orthopäden Zielgruppe 😄🙈

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