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Weckerklingeln. Ich starre in die undurchdingliche Dunkelheit und brauche einen Augenblick, bis ich mich sortiert habe. Nein, kein Arbeitstag – Quarantänetag Nummer eins erwartet mich. Wie ich hier rein gekommen bin, weiß ich selber nicht so genau. Eigentlich fing die Woche ganz normal an…

…bis mich eine Sprachnachricht erreichte, bei der sich alle meine Haare gleichzeitig aufstellten: Quarantäne. Kontaktperson – ein Kollege positiv getestet. Reine Vorsichtsmaßnahme. Die Worte kreisen noch vor meinem inneren Auge, während ich mir die Nachricht wieder und wieder anhöre. 10 Tage darf ich mein Zuhause nicht verlassen. Nicht zum Einkaufen, nicht Laufen, nicht Rad fahren. Einfach, weil ich zur falschen Zeit am falschen Ort war. Die Ausbreitung von dem fiesen Virus muss vermieden werden.

In meinem Kopf schrillen die Alarmglocken und wehren sich gegen alles, was Frau Vernunft ihnen beschwichtigend einflüstert. Man kann mich doch nicht einfach für 10 Tage hier wegsperren!

Ungläubig öffne ich die Augen und male einen ersten Strich an die Wand. Da ich mir keine Gedanken über meine Kleidung machen brauche und mich die letzten Sommertage erwarten, entscheide ich mich für die kurze Sträflingsgarderobe. Setze mich mit einer Metalltasse nahe der Gitterstäbe und schaue sehnsüchtig nach draußen.

Die Tage werden lang, die Nächte kalt.

Während ich meinen Kaffee trinke, versuche ich mich zu beruhigen. In meinem Kopf setzt sich der Plan fest, jeden Tag ein kleines sportliches Projekt anzugehen. Nur keine Langeweile aufkommen lassen. Und da mich die Sonne förmlich anspringt und der 30 m lange eingezäunte Hof vor meiner Nase zu meiner Wohnung gehört, schnappe ich mir kurzerhand die Laufschuhe und laufe los.

Ich trabe die ersten Schritte an, nur um kurz darauf abzubremsen und die Richtung zu wechseln. Trabe zurück und erlege dabei gefühlt eine ganze Mückenkolonie. Wenden und zurück. Ich lasse die Gedanken schweifen und versuche mich wegzuträumen. Hauptsache draußen – Hauptsache laufen. Als meine Uhr einen Kilometer anzeigt, wechsel ich die Richtung. Langsam machen sich meine Fußsohlen bemerkbar, die das ständige Bremsen und Beschleunigen nicht so richtig zu mögen scheinen. In meinem Kopf tobt ein ganzer Kinofilm und lässt mich nur schwer zur Ruhe kommen. Die Meter auf meiner Uhr vergehen nur langsam und mir erscheint das Laufen auf der kurzen Strecke mühselig. Bei Kilometer 5 und nach über 167 Wendemanövern stoppe ich nassgeschwitzt meinen Lauf. Quarantäne-Tag 1 wäre erledigt.

Einen Coronatest und ein KingMeal zum Mitnehmen, bitte!

Wie nicht anders zu erwarten, muss auch ich einen Test-Abstrich machen lassen, um eine Infektion auszuschließen. Damit das Ansteckungsrisiko möglichst gering bleibt, wurde dazu ein Drive-in Schalter in einem ehemaligen Burger King umfunktioniert, um den Probanden die Speichelprobe aus ihrem Auto heraus entnehmen zu können. Reinfahren, Testen lassen, Rausfahren. Ich nehme bitte einmal die 15. Aber so beginnt mein Tag zumindest abwechslungsreich. Und nach HomeOffice und Haushalt, kann es mit Sportprojekt zwei Weitergehen:

Zirkeltraining.

Der Schweiß läuft mir über das Gesicht, die Nachbarstochter beobachtet mein Hecheln und Schnaufen fröhlich aus dem Fenster heraus, während ich das Gefühl habe, auch hier und jetzt einfach Sterben zu können. Mit Pudding in den Armen und Milchreis in den Beinen quäle ich mich weiter. Ich komme mir schwer und ungelenk vor und zähle innerlich Sekunden herunter.

Zumindest ist der Garten jetzt mal ordentlich getränkt worden.

Tag 3: Licht an, Zellenkontrolle, kurz in die Nasszelle, Sträflingsgarderobe an, Bereitmachen zum Morgenappell.

Während ich die ersten Bewegungen mache, merke ich schnell, dass die paar Minuten Krafttraining meine Muskeln ordentlich malträtiert haben. Strecken tut weh, Bücken tut weh und habe ich erwähnt, dass Strecken auch weh tut? Manchmal hat es auch Vorteile, sich nicht viel bewegen zu müssen. Und während ich an meinem Schreibtisch so vor mich hinarbeite, frage ich mich, ob mittlerweile eigentlich Mittwoch oder schon Donnerstag ist. Es fühlt sich an, als hätte ich jegliches Zeitgefühl aus den Augen verloren. Ab auf die Rennradrolle: Lieber hier durchdrehen, als im echten Leben.

Das Wochenende steht fast vor der Tür. Während alle Welt sich die schönsten Dinge überlegt, wie sie das womöglich letzte warme Wochenende erleben möchten, ist meine Auswahl doch irgendwie reichlich eingeschränkt. Einfahrtlauf hier, Stabitraining da. Ich lasse in meinem Hamsterrad die Rolle glühen, nur damit anschließend meine Bäckchen ebenso leuchten. An manchen Tagen habe ich das Gefühl, dass alles nur halb so schlimm ist.

An anderen Tagen fühle ich mich wie ein Kind, das Hausarrest bekommen hat, obwohl es gar nicht am Kuchen dran war.

Mein Testergebnis ist da: Es ist negativ – ich bin kerngesund. Manchmal muss man in einer positiven Welt auch einfach mal negativ sein. Doch so sehr ich mich über das Ergebnis freue, so schwer fällt es mir mich weiter aufzuraffen und guter Dinge zu sein. Kann der Kopf überhaupt positiv sein, wenn der ganze Körper schon negativ ist?

Die ersten Fluchtpläne machen sich in meinem Kopf breit: Wenn ich noch länger eingesperrt bin, sind meine Haare wenigstens so lang, dass ich einfach aus dem Fenster klettern kann. Vielleicht könnte man auch die Rosinenbomber wieder mobilisieren – So ein süßes Hefebrötchen hat die Laune noch immer gehoben.

Während mir alle Welt sagt, ich soll mich einfach was in die Sonne setzen und die freie Zeit genießen, klebt sich trotzdem an meinem Gaumen das Gefühl fest, gegen meinen Willen hier gehalten zu werden.

Mit dem kleinen Bären und dem kleinen Tiger mache ich mich auf meinem Hamsterrad auf die Suche nach Panama. Treffe viele bunt gekleidete Radfahrer in der fröhlichen Zwiftwelt, die aber leider auch nicht den Weg nach Panama kennen. So strampel ich und trampel ich, huste und pruste. Nehme eine Abzweigung nach der anderen, bis ich am Ende wieder am Start ankomme. Und merke, wie schön doch Hause ist.

Die letzten zwei Tage brechen an. Um die Morgenroutine zu durchbrechen, mache ich in der kühlen Morgenluft einen Barfußspaziergang im Garten. Die Sonne scheint durch die Äste und fällt wie tausende kleine Glitzerpunkte auf mein Gesicht. Und während meine Füße langsam aber sicher einfrieren, weiß ich doch, dass heute ein guter Tag werden wird.

Je länger die Quarantäne-Zeit andauert, desto schwerer wird es, ernsthaft und produktiv zu trainieren. Getauft auf den Namen „Faxenlauf“ hopse, schnaufe und krabbel ich durch die Einfahrt – mit dem Ziel mich möglichst weit auf verschiedene Arten fortzubewegen. Ob das schon der beginnende Wahnsinn ist? Rückwärtslaufen, Krebsgang, Seitgalopp. Die Fußsohlen glühen, meine Waden brennen. Ich kenne mittlerweile gefühlt jede Bodenwelle, jeden Stein, jeden Heckenstrauch.

Ich schaue auf die Uhr und zähle die letzten Stunden ab. Soll ich feiern, weinen, mitten in der Nacht laufen gehen? Ich weiß es nicht. Die Minuten kriechen quälend langsam voran. Und wie ein Kind an Weihnachten, kann ich es kaum erwarten, bis das Glöckchen klingelt und sich die Tür zur goldenen Märchenwelt öffnen wird…

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Auszug aus einem Quarantäne – Tagebuch

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6 Gedanken zu „Auszug aus einem Quarantäne – Tagebuch

  1. Ein toller Beitrag. Man muss ja schon etwas schmunzeln wenn man an den „Faxenlauf“ denkt 😀 Dann ist es ja schnell und positiv überstanden und die Freiheit zurück. Mach weiter so.

    LG Marco

    1. Hallo Marco,
      danke für deinen lieben Kommentar 😀. Das freut mich sehr!
      Die letzten Tage fühlten sich tatsächlich wie ein Schlusssprint bei einem Marathon an: Man hat die ganzen Strapazen vergessen und ist nur noch aufs Ziel fokussiert. Aber irgendwie war die Zeit dann doch ganz schön lange 🙈

  2. Einen Rollentrainer habe ich nicht, aber ein Laufband. Das würde vermutlich glühen, wenn ich in die Verlegenheit einer Quarantäne käme…

    Du hast das ernste Thema (mehr die Ruhelosigkeit und die echten wie auch die scheinbaren Verluste durch Quarantäne) treffen und unterhaltsam aufgearbeitet, finde ich.

    So ganz nebenbei: Du hast auch ein Focus-Rennrad? 🙂

    1. Vielen Dank für deinen lieben Kommentar und die tollen Worte 😀.

      Das habe ich, aber das Focus-Rad bleibt meistens auf der Rolle stehen und ich ziehe draußen mit einem anderen Rädchen durch die Straßen 🤭. Ich kann mir vorstellen, dass dein Laufband auch mehr oder weniger in Dauerschleife gelaufen wäre. Aber so was habe ich leider (noch) nicht 🙂

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