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Wo eine Brücke ist, da ist auch ein Weg

Suchend schaue ich mich um – Feldweg, Abhang, Fluss. Welch‘ entzückende Auswahl. Eigentlich ist es fast unmöglich sich auf dem Eifelsteig zu verlaufen.

Eigentlich. Denn gefühlt stehen an jeder Ecke die kleinen grünen Schilder, Kilometerangaben oder Pfeile, die selbst dem größten Sinnsucher die Richtung weisen würden. Und doch habe ich es mal wieder geschafft mich mitten im Nirgendwo wiederzufinden. Missmutig folge ich weiter dem Pfad, der sich schier endlos und schnurgerade durch den Wald zieht. So lange, bis ich eine kleine, verwunschene Brücke finde, die in einen Ort hinein führt. Immer der Nase nach schwebe ich über das raue Metall und laufe nach Kerpen hinein. Mit Röntgenblick und erhobenem Näschen schnüffel ich mich zwischen Häuserzeilen und an Parkplätzen vorbei, bis ich endlich das rettende nächste Schild finde. Trüffelschweinauszeichnung ahoi!

Gemeinsam mit Ich-warte-oben-auf-dich geht die Reise über ausgelatschte Wirtschaftswege und durch einen tiefen Steinbruch weiter. Langsam aber sicher zieht bedrohlich eine düstere Wolkendecke auf, die sich Minute für Minute verdichtet. Nicht nur am Himmel, sondern auch im Kopf. Nach unzähligen Feldwegen erreichen wir endlich, erleichtert und mit schockgefrosteten Fingern den „Krimi-Ort“ Hillesheim.

Schauplatz: Hillesheim. Tatzeit: Karsamstag

Ein unerschüttliches Klappern reißt mich aus dem Schlaf. Erschrocken schaue ich auf. Vor meinem Gesicht bilden sich Kondenswölkchen und mich umgibt das schale Grau des Himmels, der noch nicht von der Sonne berührt wurde. Vorsichtig und darauf bedacht kein Geräusch von mir zu geben, robbe ich mich aus den wärmenden Decken des Dachzeltes und lasse meinen Kopf nach unten hängen. In meinem Ohren rauscht das Blut und ich lasse den Blick schweifen. Da war es wieder! Im Halbdunkeln sehe ich drei winzige Personen mit pistolenähnlichen Gegenständen in der Hand die Straße entlangstreifen. Mein Herz beginnt zu klopfen. Kopfüber rutsche ich etwas tiefer, um besser sehen zu können. Im düsteren Grau erkenne ich, dass die Personen langsam aber sicher die Straße hinabziehen und sich Stück für Stück von uns entfernen. Was war denn das? Mit wildem Herzklopfen schlüpfe ich aus meinem Nest und beginne allmählich zu begreifen. Osterklappern. Es ist Morgen.

Fast schon in Leichenstarre versetzt, wechsel ich die Tatkleidung. Maskiert mit Mütze, Schal und Maske wollen wir uns heute Etappe 9 erlaufen:

Von Hillesheim nach Gerolstein

19,6 km mit 540 Höhenmetern Aufstieg und 600 Höhenmetern Abstieg

Ich glaube, mein Schwein pfeift.

Doch bereits nach den ersten Metern müssen wir an dem kleinen See anhalten. Schwitzend wie ein Schwein, das über dem offenen Feuer geröstet werden soll, werfen wir alle unnötigen Klamotten von uns. Die Sonne strahlt vom Himmel und es verspricht ein wunderschöner Tag zu werden. Gemeinsam laufen wir die ersten 8 km recht schweigsam zwischen Feldern und Weiden, Straßen und Bauernhöfen daher. Bis uns in „Roth“ wieder ein vertrautes Klappern an die Ohren dringt und uns die kleinen Wesen mit ihren Geräuschwaffen zu verfolgen scheinen. Zeit, in den Wald abzubiegen.

Am Wegesrand liegt ein kleiner Höhleneingang, den man ohne die tausenden Pfeile, die schon fast an eine Neon-Reklame erinnern, womöglich und auch nur vielleicht übersehen könnte. Mutig, mit meiner Handy-Taschenlampe bewaffnet, tapse ich in das dunkle Loch hinein und folge dem kleinen Lichtkegel, der vor mir tanzt. Wasser überzieht den Boden und die Decke scheint immer näher zu rücken. An den Wänden zeichnen sich runde Aussparungen ab. Was diese Höhle wohl alles zu erzählen hat? Mit jedem Schritt wird es enger und die Wände drücken mich bald in die Knie. Die Dunkelheit beginnt mich zu verschlucken und die Höhle scheint mir jedes Weiterkommen zu verwehren. Zeit, umzukehren. Mehr kriechend als gehend folge ich dem zarten Lichtschein, der mich in die sichere Freiheit zurückbringen wird.

Auf einem wunderschönen kleinen Singletrail erfahre ich, dass die Höhle dazu diente, Mahlsteine abzubauen.

Aussichtspunkt – Downhill

Zeit eine Wasserstelle aufzusuchen

Bergab – Bergauf. Die Meter ziehen unter den Sohlen daher und ich atme die warme Luft ein. Die Sonne strahlt mir ins Gesicht und ich spüre, dass ich glücklich bin. Meine Schritte federn leicht auf dem weichen Wiesengrund auf und ab.

Stille.

Der Geruch warmer feuchter Erde steigt zu mir auf und ich laufe weiter. Der Weg führt mich in einen kleinen märchenhaften Wald hinein. Ich springe über Wurzeln und kleinere Felsen. Bin mit den Gedanken ganz bei mir. Schweißperlen rinnen mir über das Gesicht und ich kämpfe mich Meter für Meter weiter. Zu meiner Linken (oder vielleicht auch zu meiner Rechten – ich bin mir da nie so ganz sicher) hebt sich ein gigantischer Felsen empor.

Auf allen Vieren klettere ich wie ein Äffchen, dem man seine Bananen geklaut hat, an den spitzen Felsnasen entlang. Der Wind pfeift um meine Nase und ich komme nur mühsam voran. Erst eine Hand, dann die zweite Hand. Nach ein paar Minuten stehe ich auf dem Gipfel der Welt, oder aber auch auf dem Dolomit-Felsen von Gerolstein. Freiheit.

Irritiert, dass die Stadt schon um Greifen nah ist, auf der Uhr jedoch erst 12 km stehen, folge ich weiter den lustigen bunten Symbolen und fühle mich mit einem Mal in ein Paradies für Trailläufer versetzt.

Ich jauchze und springe über die kleinen und großen Steine – Tanze wie eine Ballerina über die schmalen Singletrails. Die rote Erde strahlt mir entgegen und ich fühle mich wie in einer anderen Welt. Konzentriert darauf nicht zu stolpern, merke ich kaum, dass der Weg stetig steiler wird. Schritt für Schritt tippel ich mich Weg hinauf. Kehrtwende. In Serpentinen sause ich den Trampelpfad ins Tal herunter. Meine Haare fliegen im Wind, obwohl ich vermutlich wieder mehr bremse, als es nötig wäre. Meine Schritte werden schwerer und ich merke, dass ich mittlerweile schon den einen oder anderen Kilometer in den Beinen habe.

Schnaufend und triefend schleppe ich mich die letzten Meter bergauf und stehe mit einem Mal vor dem magischen Eifelsteigschild. Etappenende.

Nach wilder Autoumparkereien steht Mister Camper mit tausenden anderen Wohnmobilen auf einem Wanderparkplatz und versteht die Welt nicht mehr. Zu müde, um sich über irgendetwas zu wundern, falle ich in einen tiefen Schlaf. Noch nicht ahnend, dass Ich-warte-oben-auf-dich und ich am nächsten Tag zu Autoknackern mutieren werden.

Fortsetzung folgt

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Eifelsteig Etappe 9

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4 Gedanken zu „Eifelsteig Etappe 9

  1. Die Strecke reizt mich immer mehr und irgendwo glaube ich das dann mitten im tiefen Wald jemand sitzt dem man dann den Weg zeigen kann. Klasse und Danke fürs Mitnehmen 💪👍

    LG Marco

    1. Vielen Dank für deinen Kommentar, lieber Marco. Falls der Camino noch länger auf sich warten lässt, ist der Eifelsteig vielleicht ja doch noch eine Alternative 😀. Man entdeckt immer viele tolle Sachen

  2. Hei Sara.

    Auf dem Boden stehend, die Weite sehen, das ist wohl das Leben. Und das Verlaufen – gehört glaube ich mit dazu, um genau das zu begreifen. Danke für das digitale Mitnehmen und für das Miterleben, es war wie immer schön von dir zu lesen.

    Liebe Grüße, Jens

    1. Vielen Dank für deine schönen Worte, lieber Jens. Jede Gelegenheit ist auch eine Chance, neues zu entdecken. Und manchmal kann man so durch einen kleinen Abzweig ein ganz neues Abenteuer erleben. Viele Grüße, Sara

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