5
(11)

Ich laufe tiefer in das grüne Dickicht hinein: Meine Füße finden kaum Halt auf den nassen Wurzeln, während mir scharfkantiges Gras die Beine blutig schneidet. Ich lausche in die Stille hinein. Nur ein einziger Vögel durchdringt die gespenstische Ruhe.Wie das unsägliche Piepsen eines Kassenautomates folgt mir sein Ruf, während ich konzentriert die gelben Punkten suche – meinen einzigen Anhaltspunkt inmitten von Urwald. Und während ich einen rutschigen Wasserfall emporklettere, denke ich an die Ausschreibung, in der doch alles so harmonisch klang…

.

Der Guadarun: Ein Etappenlauf auf Guadeloupe

Der Guadarun ist ein Etappenrennen in der Karibik, bei dem man an sechs Tagen auf sechs verschiedenen Inseln läuft. Seit 22 Jahren reisen Menschen aus aller Welt an, um bei tropischen Temperaturen durch den wilden Regenwald zu laufen, über Salinen zu klettern, den feinen Sand unter den Sohlen zu spüren und am Ende des Tages gemeinsam am Strand zu zelten. Jede Etappe ist zwischen 10 und 25 km lang und was wir im Vorfeld nicht wussten: von feinstem Trail gezeichnet.

Die Anreise aus Paris ist erstaunlich einfach, die ersten beiden Akklimatisierungstage karibisch schön.

Rum mit Zucker oder Rum mit Saft?

Nach einem herzlichen Aufeinandertreffen am Flughafen zwei Tage später, wird uns ziemlich schnell klar, dass alle Teilnehmer ausschließlich französisch untereinander reden und auch der Ausrichter kein Wort Englisch versteht. Na bravo Traube! Auf den Schock gibt es erstmal Rum. Mit Zucker. Oder wahlweise mit Saft – Was nicht viel besser schmeckt, aber so eine Art Insel-Nationalgetränk zu sein scheint. A votre santé!

Gemeinsam „marschieren“ wir am nächsten Morgen zu einem Wasserfall, in dem wir schwimmen und uns von Felsvorsprüngen hineinfallen lassen dürfen. Das badewannenwarme Wasser plätschert auf mich hinab, während sich ein Regenbogen direkt vor meiner Hand aufspannt. Ich strahle über das ganze Gesicht, das von kleinen Wassertupfern besprenkelt ist – Und kann es kaum erwarten, am nächsten Morgen endlich in einer solchen Kulisse laufen zu dürfen.

Über Guadeloupe: Damals, als die Menschen noch Eroberer und Bananen noch nicht in jedem Supermarkt zu kaufen waren, wurde die Inselgruppe Guadeloupe in der Karibik (bei Barbados, Martinique und Co.) zu französischem Terrain erklärt. Auch nach vielen Jahren gehört Guadeloupe zu Frankreich und ist damit sogar Teil der EU. So wird auf der gesamten Insel nicht nur französisch gesprochen und mit Euro gezahlt, sondern man kann praktischerweise auch ohne Reisepass oder Visum einreisen.

Etappe 1 – Insel Basse-Terre (Regenwaldetappe)

11,5 km mit 500 Höhenmetern

Nervös trete ich von einem Fuß auf den anderen und beobachte die anderen Teilnehmer. Mit Trailweste, Trailschuhen und Handschuhen, die für diese Etappe obligatorisch sind und die ich selbstverständlich nicht dabei habe, finden wir uns zu einem kleinen bunten Grüppchen zusammen. Neben einem weiteren Deutschen, gehören vor allem Franzosen und Belgier zu unserer Gruppe, eine Polin, ein Italiener, zwei Briten, je ein Grüppchen Martiniquer und Guadelouper, insgesamt 23 feste Teilnehmer. Hinzu kommen einige Tagesstarter, so dass wir in einem Pulk aus 47 Startern stehen. Ich tippel auf dem feuchten Gras herum, spüre meinen Herzschlag bis in den Hals schlagen. Noch zehn Sekunden.

Quälend langsam ziehen sich die letzten Momente daher – Dann endlich: Der Startschuss

Wie von einer Tarantel gestochen, stürme ich die Wiese hinab und finde mich schließlich an einem ausgesetzten Flussufer wieder. Während die einen elfengleich über Steine balancieren, trete ich wie ein WildWest Cowboy mit Schweißtropfen auf der Stirn von einem auf den nächsten Felsen. Die Sonne flirrt über uns und ich balanciere hochkonzentriert voran. Nach etwa einem Kilometer durchqueren wir den Fluss und finden uns schließlich im Dschungel wieder. Es geht bergauf. Und das kleine Feld zieht sich auseinander.

Probiers mal mit Gemütlichkeit…

Ich kämpfe mich weiter. Folge immer den roten und gelben Punkten, die mich in Zickzackschneisen durch den Regenwald führen. Die Luft ist warm und feucht und der Boden auch. Mehr schlitternd als laufend rutsche ich auf Schuhsohlen und Po kleine Hügel hinab, um sie auf allen Vieren wieder hochzukriechen. Klettere über Bäume und Felsen. Meine Uhr zeigt mittlerweile vier Kilometer an und ich spüre, wie sich unter meinen triefnassen Sandsocken eine Blase bildet.

Reisen bedeutet Grenzen zu überschreiten, auch die eigenen. (Wanda Rezat)

Mutterseelenallein ziehe ich weiter. Einzig an den kurzen Wegkreuzungen sehe ich die fröhlich-gelbbunten Westen des Stuffs, die hinter jeder Passage notieren, welcher Läufer noch unterwegs ist. Ich atme tief ein. Laufe in das nächste Waldstück. Und folge dem verschnörkelten Singletrail und seinen bunten Markierungen. An einem Seil lasse ich mich hinab und finde mich schließlich an einem kleinen Wasserfall wieder. Vorsichtig kletter ich auf glitschigen Felsen daran vorbei, stehe oben angekommen bis zur Hüfte im Fluss. Halb schwimmend, halb laufend erreiche ich das andere Ufer und ziehe mich an einer Liane empor.

Rien ne va plus

Als ich nach 10 Kilometern am Rückweg wieder in dem verdammten Balancierfluss stehe, den richtigen Weg nicht mehr finde und schließlich auf den rutschigen Steinen flussaufwärts durchs Wasser renne, rettet mich nur der Gedanke an heimische Kokosnuss und Bananen davor, mich nicht einfach wie Balu der Bär flussabwärts treiben zu lassen…

Die letzten Meter. Mit einer mittlerweile daumennagelgroßen Blase stürme ich ins Ziel, lasse mich kraftlos auf den Boden fallen. Reinige nach einer halben Bananenstaude im Bauch unter einer lauwarmen Gartendusche meine Schnittwunden. Und weiß, dass das eine der großartigsten und besondersten Lauferfahrungen war, die ich je machen durfte.

Noch am selben Nachmittag lassen wir den Regenwald mit der technisch anspruchvollsten Etappe des Guadaruns hinter uns und setzen mit der Fähre auf die nächste Insel, nach Marie-Galante über. Auf in neue Gefilde, auf in ein neues Abenteuer.

Gifttropfenalarm – Bitte Kopfbedeckung tragen. Teil 2 folgt.

Wie hilfreich war dieser Beitrag?

Klicke auf die Sterne um zu bewerten!

Guadarun 2023 – Ein Etappenlauf in der Karibik (Teil 1)

Beitragsnavigation


4 Gedanken zu „Guadarun 2023 – Ein Etappenlauf in der Karibik (Teil 1)

  1. Spannende Tour und die verschiedenen Strecken auf den kleinen Inseln, Knaller 😀 und Rum ist wie Vitamine in der freien Wildbahn 😀😅 Einfach und gesund.

    Bin auf die Fortsetzung gespannt 👍

    LG Marco

    1. Vielen Dank fürs Vorbeischauen und die lieben Worte 😀 das freut mich sehr. Ich hab mir natürlich auch eine Flasche Rum mit nach Deutschland geholt. Rein aus medizinischen Gründen 😄

      Liebe Grüße, Sara

  2. Das war nun der Etappenlauf Teil 1.
    Wie ich deinen Bericht so verfolgen konnte ,habe ich nur gedacht , was das doch für Strapazen sind denen man ausgesetzt wird.
    Wie bist du überhaupt auf die IDEE gekommen , an solch einer irren Aktion teilzunehmen.
    Ich kenne mich leider auch mit Blasen an den Versen aus. Ja , sie sind etwas später schmerzhaft und wenn sie behandelt werden , benötigen deine Füße doch erst mal Ruhe. Ich werde den 2. Teil später lesen. Ist es die Abhärtung deiner vielseitigen sportlichen Aktionen , die dazu führen , das du an solchen Urwald Aktionen teilnehmen wolltest ?
    Ich bin gespannt auf den 2. Teil……..liebe Grüße ….. der Toni !

    1. Für mich war das ein unglaubliches Abenteuer in so verschiedenen Umgebungen 7 Tage laufen zu dürfen. Ich bin wahnsinnig glücklich diese Erfahrung gemacht zu haben und glaube, sonst hätte ich dieses wunderschöne Gebiet niemals so entdeckt wie ich es auf dem Weg tun konnte. Es war einfach nur schön!

Schreibe einen Kommentar zu Marco R. Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert