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Ein Bericht aus der Sicht von Ich-warte-oben

Alleine kämpfe ich mich auf der Straße voran, während mir eisige Massen Weißen Nichts entgegenschlagen. Mit Nadelstichen im Gesicht versuche ich mühsam dem schmalen Pfad festgetretenen Schnees zu folgen, die Richtung beizubehalten. Neben mir türmen sich Schneeberge auf , die sich in weißen Wölkchen aufzulösen scheinen. Ich muss weiterlaufen – den Weg aus dem Schneegestöber hinaus finden. Erst als ich vor einem Straßenpfahl stehe, merke ich, dass mich die Verwehungen ans andere Ende der Straße getrieben haben. Und folge dem satten Vollmond, der mich hoffentlich wohlbehalten in die Stadt zurückführen wird…

Damals, als es die große C-Welle noch nicht gab und die Ambitionen noch größer waren, blätterten ich-warte-oben und ich in einer Zeitung und stießen auf den Polarnight Halbmarathon, der 2020 auch erstmalig als Marathon stattfinden sollte. Während bei mir die Vorstellung bei Minusgraden in stiller Einsamkeit durch eine Eiswüste zu laufen nicht unbedingt auf Herzenswärme stieß, war ich-warte-oben sofort begeistert. Und nun, nachdem der Marathon drei Jahre verschoben werden musste, war es im Januar 2023 endlich soweit – der Polarnight Marathon durfte starten.

Der Polarnight Halbmarathon findet bereits seit 2004 immer am ersten Januarwochenende in Tromsö statt, zu dem sich auf den Distanzen 5km, 10 km und 21,1 km circa 2000 Leute einfinden. Bei Temperaturen zwischen 0 und -15 Grad laufen die Teilnehmer unter lauten Heja-Anfeuerungsrufen und Kerzenschein durch die beleuchtete Innenstadt Tromsös. Auf der Marathondistanz wird man im Gegensatz zu den anderen Veranstaltungen 42 km außerhalb von Tromsö „ausgesetzt“ und läuft durch völlige Einsamkeit in die Stadt hinein. Erst auf den letzten zehn Kilometern stößt man zu den Halbmarathonläufern dazu und läuft die letzten Kilometer gemeinsam ins Ziel. Ein Marathon der ganz besonderen Sorte.

Zurück zum Marathon

12 Uhr – Mit Trailschuhen, Strinlampe und Leuchtweste bewaffnet, stehe ich nervös an den beiden Bussen, die uns ins 40 Kilometer entfernte Kattfjordeidet bringen werden. Um mich herum wuselt ein kleines, bunt gemischtes Völkchen von Teilnehmer, mit Spikes, mit Trailschuhen oder auch mit Spikes zum Umschnallen. Obwohl der Veranstalter auf seiner Homepage Kleidungsempfehlungen gegeben hat, sind sich doch bis zuletzt alle uneinig: Zur Sicherheit habe ich in meiner Trailweste neben Salz und Gels auch einen kompletten Satz Wechselkleidung deponiert, den ich mir im Notfall überwerfen kann. Nervös lächel ein letztes Mal in die Kamera und steige schließlich ein. Die Reise kann losgehen.

Um kurz vor eins halten wir auf einer Straße in der Einöde. Die Chip-Point-Matte wird als Startlinie ausgerollt und nachdem sich alle ein letztes Mal im Pinkelspalier aufgestellt haben, ertönt der Startschuss.

Immer am Fjord entlang, entzerrt sich die kleine Masse schnell, so dass ich schon nach wenigen Kilometern in völliger Einsamkeit bin. In meinem Rücken strahlt der Himmel über den Eismassen in den schönsten Orangetönen, während vor mir der Mond als zarter Lichtkegel leuchtet. Ich genieße die Stille, den Moment, die Schönheit der Landschaft. Und bin froh, endlich hier zu sein.

Die ersten Kilometer vergehen im Flug und ich habe das Gefühl, viel zu schnell unterwegs zu sein. Die Straße ist zwar stellenweise glatt, aber ich finde immer wieder Stellen auf denen griffiger Schnee liegt. Mein inneres Glücksgefühl peitscht mich voran und ich bin überrascht, als ich nach neun Kilometern den ersten Verpflegungspunkt erreiche.

Auf der Marathondistanz gibt es insgesamt vier Verpflegungspunkte, die aus einem Klapptisch, herzenswarmen Menschen und eiskaltem Wasser bestehen. Einzig am vorletzten Verpflegungspunkt in Stadtnähe gibt es auch zusätzlich warmen Tee.

Gestärkt laufe ich weiter. Die Straße macht eine Biegung und führt nun leicht bergauf. Eiskalter Wind schlägt mir ins Gesicht und wirbelt die Schneemassen auf. Die letzten bunten Farben versiegen langsam hinter den Bergen und der Mond leuchtet voraus. Ich kämpfe mich weiter. Immer wieder fahren Fahrzeuge des Veranstalters an mir vorbei und schauen, ob alles in Ordnung ist. Daumen hoch und weitermachen. Mit jedem Meter werden die Schneemassen dichter – die Straße verschwommener.

Ich folge dem Pfad.

Finde mich schließlich an einem Straßenbegrenzungspfahl wieder.

Und muss die Richtung ändern – Immer der Nase nach.

Glücklich erreiche ich nach insgesamt 20 km den zweiten Verpflegungspunkt und bin erleichtert, als ich auf die Uhr schaue. Für den Marathon besteht ein Zeitlimit von 5 Stunden, das normalerweise großzügig bemessen ist. Bei vereisten Straßen, Schneeverwehungen und Minusgraden kann die Sache jedoch auch anders aussehen. Glücklich stelle ich fest, dass ich viel schneller als gedacht unterwegs bin und ich mache mich breit grinsend auf in die zweite Hälfte.

Während die Marathonstarter bereits zwei Stunden auf der Strecke sind, stehen die Halbmarathonläufer in den Startlöchern. Sie laufen 10 km halbrund um die Insel, drehen um und laufen auf dem selben Weg wieder zurück. Und während ich-warte-oben durch die Eiswüste läuft und die ersten Halbmarathonläufer den Startknopf drücken, hibbelt sich auch ein nervöses Mädchen in Richtung Startlinie. Doch das ist eine andere Geschichte…

Zurück zum Marathon.

Mittlerweile hat mich die Dunkelheit verschluckt. Ich folge dem schmalen Lichtkegel meiner Stirnlampe und grinse in mich hinein. Vor und hinter mir sehe ich vereinzelte Lichtpunkte tänzeln, ehe die Straße an einer Kreuzung endet. Wir folgen der Strecke nun auf einem Bürgersteig und der Wind schlägt mir nicht mehr frontal entgegen. Stattdessen drückt er mich zur Seite und ich beobachte den aufgewühlten Fjord neben mir. Die nächsten Meter ziehen sich daher. Gefühlt komme ich nur quälend langsam voran. Hefte mich an der Vorstellung der warmen Innenstadt fest. Nach und nach sammel ich einige Läufer ein und mache vor mir die magische Brücke aus.

Brückenfreuden

Da Tromsö auf einer Insel liegt, ist sie von beiden Seiten durch eine circa ein Kilometer lange Brücke verbunden. Diese Brücken glänzen nicht nur durch einen steilen An- und Abstieg, sondern vor allem auch durch ihre Eisschicht, die die Wege überzieht.

Mühsam schleppe ich mich auf dem schmalen Weg empor. Meine Beine brennen, der Kopf auch. Ich sehne die Kuppe herbei, das Ende des letzten steilen Anstiegs. Doch so sehr ich auch mit jedem Meter denke, den rutschigen Anstieg endlich geschafft zu haben, so bitter ist auch die Enttäuschung. Meter für Meter laufe ich weiter, bis ich endlich am höchsten Punkt der Brücke angekommen bin. Durchatmen, Kopf frei laufen.

Statt wie in meiner Vorstellung nun rasant bergab zu fliegen, werde ich jäh ausgebremst. Eisiger Gegenwind schlägt mir entgegen. Dicht gefolgt von lautem Lichtergemurmel, das immer näher kommt…

Kulturschock

Nachdem ich knapp drei Stunden in der Einsamkeit unterwegs war, treffe ich nun auf Heerscharen von Lichtern und Läufern. Wie kleine Glühwürmer kreisen sie an ihrem Wendepunkt, bis sich die beiden Strecken schließlich am dritten Verpflegungspunkt vereinen. Dicht gedrängt, sammel ich einige Marathonläufer ein, werde aber auch immer wieder von Halbmarathonläufer überholt oder ausgebremst. Wildes Trubeltreiben. Im Windschatten laufe ich die letzten Kilometer in Richtung Stadt. Kämpfe mich kleinere Anstiege hinauf und weiß, dass es nun nicht mehr weit ist.

Öllampen kündigen die letzten Kilometer an. Der Weg führt in Schlangenlinien in die Innenstadt und obwohl ich nur wenige Heja-Anfeuerungsrufe höre, fühlt sich das plötzliche Lichtermeer wie tosender Applaus an. Den letzten Kilometer fliege ich die Fußgängerzone hinab und erreiche fassungslos das Ziel. Ich habe es geschafft. Ich bin einen Marathon in der arktischen Zone gelaufen. Stolz, mit Tränen in den Augen und einem Kaffee in der Hand, sickert langsam die Erkenntnis zu mir durch. Und ich kann ein kleines großes Kapitel abschließen…

Internetseite Polarnight Marathon: https://www.msn.no/en/arrangement/polarnighthalfmarathon/

Preis: 1200 NOK (circa 120 €)

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Polarnight Marathon – Ein Lauf durch die Polarnacht

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2 Gedanken zu „Polarnight Marathon – Ein Lauf durch die Polarnacht

    1. Dankeschön für deine lieben Worte 🤗. Da gebe ich dir ganz Recht. 42 Kilometer aus eigener Kraft zurück zu legen ist immer eine immense Leistung 😀

      Erhol dich weiterhin gut. Viele liebe Grüße,
      Sara

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